Keine Frage des Geschmacks
dann?«
Wieder bemerkte Candace das Trommeln der Finger. Sie öffnete ihre Reisetasche, zog den Laptop heraus und zeigte ihn ihrer Mutter, die jetzt zweimal zwinkerte. Candace schaltete das Gerät ein, dann nahm sie das Kopfkissen vom leeren Nachbarbett und baute es als Unterlage auf Miriams Bauch auf. Langsam hob ihre Mutter die Hand und suchte mit dem Zeigefinger nach den Buchstaben. Die Worte waren voller Fehler, und Candace versuchte ihren Bewegungen zu folgen, um sie besser interpretieren zu können.
»wo ost slbwrto?«
»Du willst wissen, wo Alberto ist?«, fragte Candace.
Miriam zwinkerte zweimal.
»Die Polizistin hat mir gesagt, dass er ebenfalls hier liegt.«
»slbwrto wsr es nochr« wurde zu »Alberto war es nicht«.
Und »er hast mocj grrttt, es wer Aielip« zu »Er hat mich gerettet, es war Aurelio«.
Jedes Mal fragte Candace so lange nach, bis sie verstanden hatte.
»Sag es der Polizei«, war der letzte kurze Satz, den Miriam niederschrieb, bevor sie die Kraft verließ und sie die Augen schloss.
*
Punkt fünfzehn Uhr setzte eine dunkelblaue Limousine die Staatsanwältin am Largo Riborgo ab, wo der Commissario, die Inspektorin und drei Uniformierte in kugelsicheren Westen sie erwarteten. Auch ein Schlosser stand bereit. Die sechs Polizisten waren die hundert Meter zu Fuß gegangen. Vergebens klingelte Laurenti an drei verschiedenen Wohnungen in den unteren Stockwerken, erst der Literaturprofessor antwortete und betätigte den Türöffner, nachdem Laurenti behauptet hatte, er müsse ein Telegramm zustellen.
Der Aufzug war zu klein für alle, die Uniformierten fuhren als erste in den vierzehnten Stock und bezogen Posten. Zwei Wohnungen lagen am Treppenabsatz des letzten Stockwerks, lediglich die Initialen auf dem Türschild neben dem Eingang verwiesen auf die Bewohner: R. R. und A. S. Sobald sich die Aufzugtür zum zweiten Mal geschlossen hatte, klingelten sie mehrfach bei Aurelio Selva. Dann kam der Schlosser zum Einsatz, der das Schloss mit nur drei Handgriffen knackte, worauf die Männer mit den kugelsicheren Westen und gezogenen Waffen die Räume inspizierten und rasch grünes Licht gaben. Es war niemand in der Wohnung. Einer von ihnen bezog Posten im Treppenhaus.
Die Wohnung hatte neben Bad und Küche lediglich zwei weitere Räume. Ein geräumiges Wohnschlafzimmer von gut sechzig Quadratmetern, das spärlich mit Designermöbelneingerichtet war und dessen Fenster den Blick nach Norden freigaben. Das Bett war ungemacht, Kleidungsstücke lagen keine herum, der Kleiderschrank war ordentlich aufgeräumt. Schmutzwäsche fand sich weder in der Küche noch im Bad. Auf einem Glastisch lagen die heutigen Tageszeitungen, ein Wasserglas und eine Flasche standen daneben. Im Regal dahinter fanden sich sieben Bildbände mit Aktfotografien und wenige andere Bücher, deren Titel Laurenti nichts sagten. Im untersten Fach befand sich ein eingeschalteter Tintentstrahldrucker, dessen Verbindungskabel aus dem Regal hing. Der zugehörige Computer fehlte. Zwei Registrierordner enthielten die persönlichen Dokumente des Wohnungsinhabers, Pina Cardareto steckte sie in einen Karton, in welchen der Uniformierte auch den Inhalt des Papierkorbs legte, den er zuvor in einen Plastikbeutel geschüttet hatte. Und auch eine Digitalkamera.
»Hier ist sein Portemonnaie«, sagte Iva Volpini, die eine andere Ecke des Raums inspizierte. »Und die Schlüssel seines Scooters.«
»Weit kann er also nicht sein.« Laurenti runzelte die Stirn. »Die Wohnungstür hatte er nur ins Schloss gezogen. Es würde mich nicht wundern, wenn er uns in Kürze Gesellschaft leistet.«
»Sofern er uns nicht auf der Straße beobachtet und es sich anders überlegt hat, Commissario.«
»Nebenan wohnt sein Vater«, sagte Laurenti. »Ich mache jede Wette, dass er dort ist. Was halten Sie davon, wenn wir’s bei Raccaro versuchen, Staatsanwältin?«
Iva Volpini schüttelte den Kopf. »Dafür haben wir noch immer keinen begründeten Verdacht, Commissario. Nehmen Sie erst einmal die anderen Räume unter die Lupe, Laurenti. Wenn Selva da drüben ist, dann muss er auch irgendwann einmal herauskommen. Sorgen Sie dafür, dass er das nicht unbemerkt tun kann.«
»Kommen Sie schnell, Chef«, hörte Laurenti die Inspektorin rufen, die das nächste Zimmer inspizierte. »Eine kleine Überraschung!«
Ein Klapptisch war in dem schmalen Raum aufgebaut, an dessen Wand eine Sprossenleiter befestigt war. Hanteln hingen in einer Halterung. Eine
Weitere Kostenlose Bücher