Keine Frage des Geschmacks
Polizeicomputer hatte sich nichts über sie gefunden, außer einer lange zurückliegenden Vorstrafe wegen Drogenbesitz. Ihre Aufenthaltsbewilligung war gültig und ihre Tasche schnell durchsucht. Sie hatte nur kleines Gepäck dabei und war clean. Die letzte Line hatte sie gezogen, bevor die Seekrankheit sie packte.
Nachdem die stählerne Tür hinter Vittoria wie ein Hammerschlag ins Schloss gefallen war, sah sie dem Streifenwagen nach, dessen Lichter allmählich hinter der Regenwand verschwanden. Der Fahrer der Limousine aus San Marino ließ auf Vittorias Zeichen hin zögerlich das Fenster herunter. Sie sagte, dass der Fahrgast, der ihn umdirigiert hatte, nicht kommen könnte, und bat ihn, sie ins Stadtzentrum zu fahren. Der Mann im blauen Anzug schüttelte lediglich den Kopf, schloss das Fenster wieder und startete den Wagen. Nun stand sie ratlos im tosenden Gewitter und schaute sich um. Das dick aufgetragene Make-up zerfloss im Regen. In einiger Entfernung sah sie die Lichter einer Bar.
Bei einem heißen Irish Coffee überlegte sie, was zu tun war. Die Entscheidung wäre ihr leichter gefallen, wenn sie wenigstens gewusst hätte, weshalb die Bullen Lele das Leben schwermachten. Zuerst wählte sie Aurelios Nummer, sie ließ es lange klingeln, doch niemand antwortete. Das Gerät von Giulio Gazza hingegen war abgeschaltet. Als ihr fuchsrotes Haar endlich trocken war und sie ein T-Shirt über das Kleidchen gezogen hatte, bat sie die Kellnerin, ihr ein Taxi zu bestellen. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof von Ravenna überlegtesie, ob sie den Zug nach Triest oder nach Rom nehmen sollte. Aus der Hauptstadt war sie vor mehr als einem halben Jahr abgereist, denn dort hatten die Umstände sich radikal verschlechtert. Eigenartige Dunkelmänner waren auf sie und ihre Freundinnen zugekommen und hatten von ihnen verlangt, sich mit einem hochgestellten Politiker einzulassen. Ihre Rendezvous sollten fotografiert werden. Einen Beutel mit zwanzig Gramm hochwertigem Kokain hatte sie als »Geschenk« erhalten. Vittoria aber war es mulmig geworden, ihre Habseligkeiten waren schnell zusammengepackt. Sie hatte sich für Triest entschieden, der Ort lag weit von der Hauptstadt entfernt, und an Raccaro erinnerte sie sich, weil er sie bei seinen Aufenthalten in Rom stets großzügig bezahlt hatte. Fast tat ihr der kleine Mann leid, doch dank seiner Verbindungen würde er rasch wieder frei kommen. Mochte sie ihn etwa? Ausgeschlossen. Von dem gewaltsamen Tod zweier ihrer Kolleginnen hatte sie aus den Fernsehnachrichten erfahren. Vittoria war besorgt. Am Ende löste sie zwei Fahrkarten, eine nach Nordosten, die andere in die Hauptstadt. Sie würde den ersten Zug nehmen, der einfuhr.
Die Fahrt zurück
»Mir schwant nicht Gutes«, sagte Marietta. »Die Staatsanwältin wird einiges auszustehen haben. Und du auch. Dass die Kollegen aus Ravenna Lele festgenommen haben, wird Schlagzeilen machen.«
»Sie haben ihn doch schon wieder auf freien Fuß gesetzt. Ich mache jede Wette, dass er morgen gleich hier auftauchen wird und wie ein Wahnsinniger seine Drohungen ausstößt. Erst recht, wenn er erfährt, dass wir Selva festgesetzt haben. Sein Mobiltelefon klingelte ununterbrochen, es liegt auf meinem Schreibtisch.« Laurenti kümmerten die zu erwartenden Exzesse wenig.
Niemand im Kommissariat war an diesem Samstag in den Genuss regulären Schichtdienstes gekommen. Pina gähnte ununterbrochen, abgesehen von den drei Stunden Schlaf letzte Nacht, war sie seit fast vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Laurenti glich die Müdigkeit mit seinem eisernen Willen aus, hier endgültig Tabula rasa zu machen. Marietta hingegen war, obwohl Laurenti ihr mit seinem Anruf den ersten Tag am Strand vermasselt hatte, von einer unbegreiflichen Fröhlichkeit. Dafür zeigte sich die Staatsanwältin, bei der die verschiedensten Anrufe hochgestellter Persönlichkeiten eingingen, zunehmend gestresst. Mit dunklen Ringen um die Augen war sie gegen einundzwanzig Uhr im Kommissariat aufgetaucht, um eine Lagebesprechung zur Akte »Scoop« einzuberufen, wie die Polizisten die Ermittlung beiläufig getauft hatten. Der Titel stand groß auf einem Flipchart. Draußen grollte der Donner, und grelle Blitze durchzuckten die Nacht.
Nur der tiefgebräunte Gilo Battinelli war sichtlich erholt. Er hatte sich am Nachmittag im Kommissariat zurückgemeldetund sich sogleich an seinen Computer gesetzt. Ein Suchprogramm glich noch immer die Fotos der Russen ab, die Margherita mit ihrem Mobiltelefon
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