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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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die Füße auf den Schreibtisch gelegt und sich in seinem Stuhl tief zurückgelehnt, während sein Blick auf die oberen Stufen des Teatro Romano und die darüberliegende Via Donota schweifte, die zum Burghügel hinaufführte. Dort standen wie gute Freunde zwei alte Wohnhäuser dicht nebeneinander, von denen das eine zwei Stockwerke höher als das andere war. Ihre hellen Fensterläden waren meist geschlossen. So musste die Bebauung bis hinunter zur Questura ausgesehen haben, bevor sich der Ort im Ventennio der Mussolini-Diktatur gemäß den größenwahnsinnigen Bebauungsplänen der Faschisten verändern sollte. Teile des Ghettos und der mittelalterlichen Altstadt wurden durch Trutzbauten ersetzt. Aus dieser Zeit stammte auch das Gebäude, in dem sich heute das Polizeipräsidium befand. Damals wurde es als »Casa del Fascio« realisiert, Sitz der Faschistischen Partei und Kaserne der Schwarzhemden. Über fünftausend solcher Gebäude wurden in ganz Italien sowie in den besetzten Gebieten und den ostafrikanischenKolonien von opportunistischen Architekten entworfen. In Triests Altstadt sollte der Monumentalbau die vermeintliche gesellschaftliche Erneuerung symbolisieren. Eine Festung, die das Zeichen der Verschlossenheit gegenüber jedem Fremden war und zur Verteidigung einer bedeutenden Grenzstadt, die sich auf den Krieg vorbereitete. Als der Frieden in Europa einkehrte, wurde er zum Generalquartier der Alliierten, unter deren Verwaltung die Stadt als Freistaat bis 1954 stand. Erst nach ihrem Abzug machte man das wuchtige Gebäude zum Polizeipräsidium.
    Der Blick aus dem Fenster nach Osten fiel auf die mit rotbraunem Klinker verkleidete Fassade des Hochhauses, aus dessen oberen Etagen man eine ungehinderte Aussicht über die Dächer der Stadt und über das Meer genoss, bis nach Istrien und zur Lagune von Grado. Wer dort wohnte, hatte den Überblick. Wie Raffaele Raccaro, den alle Lele nannten.

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    »Angel Travel Agency – Keine Kundenbesuche! Nur Internetbuchungen!« Das Schild über der Tür des Reisebüros in Udine war eindeutig. Der Laden im Erdgeschoss des frisch renovierten Gebäudes machte keinen guten Eindruck. Ein Kabuff von kaum zwanzig Quadratmetern, die Einrichtung schäbig und verdreckt. Mit seinen massiven Hängebacken erinnerte der fette unrasierte Mann mit dem ungewaschenen Haar und den groben Poren, die seine welke Gesichtshaut markierten, an eine räudige Bordeauxdogge. Er schaute schlecht gelaunt vom Bildschirm auf, als Miriam eintrat und zaghaft grüßte, und nahm nicht einmal die dicht behaarten Pranken von der verdreckten Tastatur. Wieder jemand, der störte. Weshalb zum Teufel hatte er den Zusatz in Rot aufs Firmenschild drucken lassen? Auf seinem Schreibtisch stapelte sich das Papier, in dem Regal daneben wucherten die Kataloge der Reiseveranstalter. An den Eselsohren und Einrissen ließ sich unschwer erkennen, dass grob mit ihnen hantiert wurde. Der Fettsack starrte Miriam stumm an und gab ihr zu verstehen, dass es kein Problem wäre, wenn sie gleich wieder wortlos verschwände. Aus ihrer attraktiven Erscheinung schien er sich gar nichts zu machen.
     
    Der freundliche Hotelier hatte ihr beim Frühstück gesagt, das schöne Wetter hielte auch die nächsten Tage an. Eine leichte Bora war aufgezogen, sie möge sich nicht über die Böen erschrecken, die durch die Straßen fegten. Das sei eine Laune dieser Gegend, woanders kenne man solche Naturgewalten nicht, dafür trieb der Wind die Wolken vom Himmel. Er wies ihr auch den Weg zum Autoverleih, und während sie an den Rive entlang zu dem frisch renovierten, langgestrecktenSpeichergebäude am Molo IV ging, schlug ihr der Wind immer wieder heftig ins Gesicht. Die Luft war glasklar und schien das Nordwestufer des Triestiner Golfs näher an die Stadt zu treiben, als drückten die fernen und doch so klar vom Himmel sich abzeichnenden Dolomiten, die sich mächtig am Horizont erhoben, das Meer herüber. Der Autoverleiher hatte den Weg nach Udine beschrieben und ihr auf dem Computer die Via Castellana gezeigt, in der sich das Reisebüro befand. Eine Dreiviertelstunde später parkte sie vor dem zweistöckigen Gebäude, das zwischen zwei mehrspurigen Straßenzügen lag.
    »Ich suche Giulio Gazza«, sagte Miriam, nun mit klarer Stimme, und wedelte mit einem Briefumschlag.
    Der Mann hob die Augenbrauen. »Wer soll das sein?«
    »Ich wollte mich für sein freundliches Schreiben bedanken.«
    Der Kerl streckte nur die Hand aus und schnipste mit den

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