Keine Frage des Geschmacks
beim Schloss Miramare zu erwerben. Seitherverbrachte Gilo jede freie Minute auf der Adria, meist in Begleitung eines schönen Mädchens.
»Die Sache muss absolut unter uns bleiben, dafür entkommst du für eine Weile deinem Büro, Gilo, und die Pflicht wird dabei zum Vergnügen.«
»Ich bin ganz Ohr.« Der durchtrainierte Inspektor hob die blonden Augenbrauen, die sich wie zwei klare Pinselstriche von seiner sonnengebräunten Haut abhoben. In der Questura teilte er mit drei weiteren Beamten ein Büro, in dem die Schreibtische so eng aneinanderstanden, dass die Stuhllehnen gegen die Tischplatten stießen. Battinelli war von früheren Dienststellen Schlimmeres gewohnt. Die beiden Jahre in den Abruzzen waren ihm eine Schule fürs Leben gewesen.
»Ist dein Segelboot zum Auslaufen bereit?«, fragte Laurenti.
»Haben Sie Lust auf einen Törn?«
»Ich schwimme lieber.« Nur selten hatte der Commissario Einladungen zum Segeln angenommen und war niemals länger als einen halben Tag mit hinausgefahren. Platzangst. »Solange ich noch nicht übers Wasser gehen kann, ist ein Boot für mich wie ein Gefängnis.«
»Sie müssen fleißig üben, Chef. Für andere ist es der Inbegriff der Freiheit.«
»Deine Nussschale liegt doch im Hafen von Grignano«, sagte Laurenti. »Kennst du die ›Greta Garbo‹?«
»Der Zweimaster aus den dreißiger Jahren mit den roten Segeln?«
Der Mann war von schneller Auffassungsgabe, und als einer der wenigen beherrschte er sogar blind das Zehnfingersystem, während die meisten anderen die Tastatur mit zwei flink fliegenden Fingern malträtierten. Dafür war seine Handschrift unleserlich.
»Soviel ich weiß, wird er demnächst auslaufen.«
»Gestern Nachmittag hat die Yacht am Molo Audace einenGast aufgenommen, als Sie mit Ihrer Tochter vor Harrys Grill saßen. Ich hab’s von der Piazza aus gesehen.«
Laurenti hatte den Inspektor nicht bemerkt. »Kennst du den Eigner?« Er ging davon aus, dass der Kollege die Stadt mit all ihren Verstrickungen noch zu wenig kannte, um in die Fänge eines der freundlichen Herren aus der Kaste geraten zu sein, die hinter den Kulissen die Fäden zogen.
»Raffaele Raccaro?«, fragte der Inspektor. »Ja, natürlich. Die ›Greta Garbo‹ liegt drei Plätze weiter. Wir kennen uns vom Sehen.«
»Und weiß er, wer du bist?«
Gilo Battinelli schüttelte entschieden den Kopf. »Man grüßt sich, das war’s. Der Dienstleistungssektor bringt fünfundachtzig Prozent des Bruttosozialprodukts in Triest auf. Wo soll ich schon arbeiten? Das kann man an zwei Fingern abzählen: Versicherung oder Bank. In der Stadtverwaltung oder Landesregierung sicher nicht, die besetzen nur die eigenen Leute. Also, was soll ich tun?«
»Beobachten. Sonst nichts. Vielleicht machst du auch ein paar Fotos, wenn du es für nötig hältst. Ich will wissen, wer an Bord ist und wohin er fährt. Aber nicht länger als drei Tage, sonst fehlst du hier zu lange. Es ist nur ein Versuch, denn niemand kann ausschließen, dass er ganz einfach Urlaub macht. Möglich, dass er sich mit irgendwelchen Leuten trifft, das würde mich dann etwas mehr interessieren. Auf See gibt es keine Überwachungskameras und keine Abhörgeräte.«
»Liegt etwas gegen ihn vor?«
Laurenti runzelte die Stirn. »Kann schon sein«, sagte er zögerlich.
Battinellis Herkunft war hilfreich. Er kannte die Flüchtlingsproblematik, der Westeuropa ausgesetzt war, bereits aus seiner Heimat, der pelagischen Insel Lampedusa zwischen Sizilien und Tunesien, wo die überfüllten Boote aus Libyen voller ausgehungerter, halbverdursteter und von der Reise ausgezehrterAfrikaner anlandeten. Bevor Laurenti ihm schließlich reinen Wein einschenkte, schwor er Battinelli noch einmal darauf ein, dass er nicht einmal in der Questura über seinen Auftrag reden durfte.
Der Inspektor grinste zufrieden, vor allem nachdem der Commissario ihm geraten hatte, zur besseren Tarnung nicht allein rauszufahren. Noch im Flur, vor dem Büro des Chefs, rief Gilo Margherita an, eine der Frauen, die er besonders gerne an Bord hatte und deren Ehemann sich, wie so oft, auf einer längeren Geschäftsreise befand. Sein Boot lief prächtig, eine Nussschale, wie Laurenti es abfällig benannt hatte, war es nicht. Der »Greta Garbo« könnte es leicht folgen. Die einzige Ungewissheit war, wann genau das Spiel begann.
Laurenti aber war nicht besonders zufrieden. Wie immer, wenn er im Büro mit halbgeschlossenen Augen konzentriert über einen Vorgang nachdachte, hatte er
Weitere Kostenlose Bücher