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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Fingern, als hätte er die Macht, ihr Befehle zu erteilen.
    Als sie keine Anstalten machte, ihm das Papier zu übergeben, erhob sich der Dicke endlich mit einem Grunzen und stapfte genervt auf sie zu. Miriam wich keinen Millimeter vom Fleck. Besonders groß war er nicht, und dank seines Leibesumfangs konnte er auch nicht sehr schnell sein. Doch die Art, wie er sich bewegte, strahlte eine unberechenbare rohe Gewalttätigkeit aus. Einer, der jederzeit aus heiterem Himmel zuschlagen konnte, und wenn er traf, dann ganz sicher mit ungeheurer Wucht. Er blieb einen halben Meter vor ihr stehen und warf einen kurzen Blick auf den Briefumschlag, dessen Inhalt Jeanette McGyver in Panik versetzt hatte.
    »Sehe ich zum ersten Mal«, sagte er muffig und starrte ihr nun mit Stielaugen ins Dekolleté, als würde er sie jeden Augenblick vergewaltigen, anschließend erwürgen und danach in Stücke sägen wollen. Sein aasfauler Atem widerte sie an.
    »Ich habe eine verheißungsvolle Antwort für Gazza. Ambesten ich lasse sie hier«, sagte Miriam und zog den Brief von Jeanettes Anwalt heraus. »Das Original erhalten Sie per Einschreiben und dann bald noch ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft. So viele Briefe kriegen Sie sonst sicher nie.«
    Ehe sie es sich versah, riss er ihr das Blatt aus den Fingern, faltete es auf und überflog den Inhalt. Seine linke Wange zuckte schwach, als huschte eine böse Ahnung über sein Gesicht. Als er dann endlich die Zahl las, die der Anwalt als gerichtlich einzutreibendes Schmerzensgeld angesetzt hatte, reagierte der Mann deutlicher. Hilflose Wut flackerte in seinem Blick, und er bebte am ganzen Körper, als erwartete ihn die Folter. Unvermittelt machte er einen halben Schritt zurück und sah ihr endlich in die Augen.
    »Wer sind Sie?«, fragte er schließlich, seine Stimme hatte jede Sicherheit verloren. »Was wollen Sie von mir?«
    Miriam zog den »Independent« heraus, den sie am Bahnhofskiosk erstanden hatte, und deutete auf die Titelseite, die eine keusch gekleidete Jeanette McGyver zeigte und als Opfer des perfiden Erpressungsversuchs einer kriminellen italienischen Bande darstellte. Der Name Giulio Gazza prangte deutlich im Untertitel.
    »Lesen Sie das in Ruhe«, herrschte sie ihn an. Jetzt ging sie um den Fettsack herum und musterte ihn von oben bis unten. »Ich weiß zwar nicht, wie Sie mit einem solchen Mistladen diese Summe auftreiben wollen, aber Sie können sicher sein, dass die Anwälte keine Ruhe geben werden, bis nicht der letzte Cent beglichen ist. Dieses Mal haben Sie und der Gigolo das falsche Opfer gewählt. Rechnen Sie mit dem Schlimmsten. Sobald die Staatsanwaltschaft die Klage erhalten hat, können Sie davon ausgehen, dass hier kein Stein auf dem anderen bleibt. Ich mache jede Wette, dass dann auch die Fälle der anderen Frauen auf den Tisch kommen, die Sie zusammen mit diesem Schwanzkopf erpressen. Sie können Ihre Lage ein wenig verbessern, indem Sie damit rausrücken,wer der Mann auf den Fotos ist. Aurelio nennt er sich. Wo steckt er? Im übrigen hat auch die hiesige Lokalpresse diesen Artikel erhalten. Sie werden Schlagzeilen machen, Signore.«
    Der Dicke starrte sie noch immer unbeweglich an, Schweiß rann ihm über Stirn und Wangen und versickerte in dem ungepflegten Vollbart. Er glänzte wie eine Speckschwarte. Das vorher hochdruckrote Gesicht hatte schlagartig in fahles Aschgrau gewechselt. Wortlos sah er zu, wie sie mit spitzen Fingern die Identitätskarte aus seinem Portemonnaie auf dem Schreibtisch fischte, aufschlug und sie abfotografierte. Jetzt konnte er nicht mehr so tun, als wäre er ein anderer.
    »Setzen Sie sich«, stammelte er, als er sich zu fangen schien. »Ich habe nichts damit zu tun. Wann haben Sie das erhalten?«
    »Am Freitag traf es bei Ihrem Opfer ein. Heute ist Dienstag. Wir reagieren schnell, wie Sie sehen.«
    »Ich habe das nicht weggeschickt. Ich erpresse niemanden.«
    Zum Verhandeln war sie nicht hier, und selbst wenn es irgendwo in dem Laden einen zweiten Stuhl gäbe, würde sie ihn gewiss nicht benutzen. Eine Putzfrau hatte diesen Raum offensichtlich noch nie betreten.
    »Erzählen Sie das, wem Sie wollen«, sagte Miriam. »Wer ist der Kerl auf dem Foto?«
    Gazza hob langsam die Achseln. »Ich kenne ihn nicht. Jemand anders muss meine Adresse benutzt haben. Fragen Sie doch den Kurierdienst, wer den Brief aufgegeben hat.«
    »Die Fingerabdrücke werden zur Zeit analysiert, das ist zuverlässiger.«
    »Wer zum Teufel sind Sie eigentlich? Jemand

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