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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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mit den Handschellen zur Stelle war. Das Hinterteil des Köters war nicht im Bild, vermutlich wedelte er mit dem Schwanz und freute sich auf die Belohnung.
    »Das mit dem Deutschen hast du übrigens gut gemacht. Aus der Film. Ich nehme an, dank Vittorias Hilfe war es ein Kinderspiel. Auf die war er schon die ganze Zeit scharf.«
    »Gibt es dafür eigentlich eine Prämie? Oder kriegt die nur Vittoria?«
    »Lass dich überraschen.« Lele richtete sich abrupt auf und fuchtelte mit der Hand. »Jetzt muss der neue Flächennutzungsplan im Stadtparlament durchgehauen werden, und auch die Infrastrukturanbindung für unser Einkaufszentrum am Montedoro muss verbessert werden. Es funktioniert noch nicht wie gedacht, meine Geschäftspartner sind ungeduldig, sie müssen investieren. Zu viel Geld, das eine saubere Heimat sucht, die Rendite bringt. Hast du verstanden? Letztlich profitierst auch du davon. Mach also keinen Scheiß mit deinen Privatpornos und sei auf der Hut, sonst kann dir niemand helfen. Wenn du da reinpfuschst, ist mir völlig gleichgültig, wer du bist.«
    Aurelio brachte die Tirade dieses Mannes, der bei geschlossener Tür immer wieder einmal behauptete, sein Vater zu sein, und der ihn von Pflegeeltern hatte aufziehen lassen, nicht im geringsten aus der Ruhe. Allerdings fragte er sich oft, warum Lele sich ausgerechnet an ihn erinnerte, als er dabei war, sein Abitur zu machen, und weshalb er ihn seither aushielt. Eines Tages würde er vielleicht doch Haarproben für eine DNA an eines der Labore schicken, die im Internet warben. Aber Aurelios Leben war bequem, warum sollte er es inFrage stellen? Lele scherte sich kaum um ihn. Bis auf die ganz prekären Aufträge war es nicht schwierig, Mädchen für alles zu sein – der Boss war eh meist außer Haus. Und trotzdem verspürte Aurelio den unbezwingbaren Drang, für immer von hier zu verschwinden. So weit wie möglich weg von allem, sein bisheriges Leben für immer vergessen. Nach Australien oder Neuseeland. Auf die andere Seite der Welt.
    »Und bring mir jetzt einen Espresso«, befahl Lele. »›Jamaica Blue Mountain‹, aber ordentlich zubereitet, wie ich es dich gelehrt habe. Nein, mach mir einen ›Kopi Luwak‹. Gib Acht, dass die Wassertemperatur stimmt – und dann verschwinde. Ich habe zu tun.«
    Es war einer der wenigen Abende, die Raffaele Raccaro zu Hause verbrachte. Normalerweise jagte er von einer Verpflichtung zur anderen: Logen- und Aufsichtsratsitzungen, Anwalts- und Notartermine, Abendessen, Versammlungen, Premieren im Teatro Verdi, dem prunkvollen städtischen Opernhaus, Empfänge. Kontakte pflegen und gute Beziehungen nutzen. Wachsamkeit war angesagt, wollte man die Kontrolle nicht verlieren. Zu verhindern war auch in Triest der Fortschritt nur noch in Teilen, und dass der Wandel nicht außer Kontrolle geriet, ließ sich steuern, solange die richtigen Leute am richtigen Ort waren. Wozu gab es ein über Jahrzehnte gesponnenes Geflecht aus Beziehungen und Abhängigkeiten, das den Fluss des Geldes zu lenken vermochte? Raffaele Raccaro war bis heute ein kunstfertiger Schmied dieser Verbindungen. Seine Konten auf der Bank profitierten davon, seine Eitelkeit wurde befriedigt. Es war beruhigend, zu allem gefragt und darum gebeten zu werden, seinen Einfluss geltend zu machen. Die Herren, die von den Bürgern als ihre Repräsentanten ins Parlament oder den Senat nach Rom geschickt worden waren, spurten tadellos, den Machtkampf in der Loge hatte er unbeschadet überstanden, und die Schlüsselpositionen in der Politik blieben damit auch in Zukunftnach seinem Willen besetzt. Doch eine ungewohnte Nervosität machte sich seit jüngstem in der Seilschaft bemerkbar, verbale Überreaktionen folgten einander auf dem Fuße, und manch einer vermutete, dass die Staatsanwaltschaft hinter geschlossenen Türen längst gegen sie ermittelte.
    »Noch eines«, sagte Lele. Ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden, nippte er an seiner Tasse. »Wer hat die Bilder geschossen?«
    »Der Etagenkellner.«
    »Bist du sicher, dass er keine Kopien hat?«
    »Ganz sicher. Der kann nicht einmal richtig telefonieren. Ich hab ihm einen Fünfziger gegeben, und einen runtergeholt hat er sich gratis.«
    »Der Sommer fängt zwar gerade erst an, aber deine Jagdsaison ist mit diesem Schmuddelzeug beendet. Hast du verstanden? Keine Mätzchen mehr. Und jetzt zisch ab, ich hab zu tun.« Lele streckte den Arm mit der leeren Kaffeetasse aus.
    Aurelio kannte den Tonfall gut. Lele erwartete jemanden, den

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