Keine Frage des Geschmacks
hat meinen guten Namen missbraucht, ich bin selbst ein Opfer dieser Sache.«
»Und ich bin Michelle Obama. Raus mit der Sprache: Wer ist dieser Kerl? Und wer ist der Geschäftsmann aus Triest, für den er arbeitet?« Miriam griff nach seinem Mobiltelefon, erzuckte kurz, doch dann ließ er sie teilnahmslos gewähren. Sie gab die Nummer des Gigolos ein, die Jeanette ihr diktiert hatte. In dem schmierigen Apparat Gazzas war sie nicht gespeichert. Sie hielt ihn vom Ohr entfernt und hörte wie die Ansage meldete, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Dann legte sie das Telefon mit spitzen Fingern zurück. Wahrscheinlich war es ein Anschluss, den er nur für Jeanette und die anderen Frauen, denen er zuerst an die Wäsche und dann ans Portemonnaie ging, angemeldet hatte. Das wäre herauszubekommen.
»Ich werde Ihnen helfen, wenn ich kann. Ich werde alles versuchen.« Gazza ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und zwängte mit seinen Händen den Speckgürtel zwischen die Armlehnen. »Sie haben einen englischen Akzent. Sind Sie die Frau, für die ich das Hotel in Triest gebucht habe?«
Miriam verzog die Mundwinkel.
»Gefällt es Ihnen? Sind Sie gut aufgehoben?« Sein Anbiederungsversuch blieb vergeblich.
»O ja, sehr elegant«, sagte sie spitz und wandte sich um. »Und es ist sogar sauber. Sie aber werden mir sagen, wer dieser Aurelio ist und wo ich ihn finden kann. Sie haben Zeit bis morgen. Und wenn Sie tricksen, dann kommt jemand ganz anderes an meiner Stelle und nimmt nicht nur diesen Laden auseinander. Ich scherze nicht und fürchte um Ihre Unversehrtheit. Es gibt keine zweite Warnung.«
Grußlos ging sie hinaus, stieg in den Leihwagen und fuhr vom Hof. Im Rückspiegel glaubte sie noch zu sehen, dass Gazza den Telefonhörer zum Ohr führte. Auch sie griff zum Telefon und wählte Jeanettes Nummer.
*
Was tat man nicht alles für eine Freundin? Vor nicht einmal zwei Tagen war Miriam noch im strömenden Regen von der Haltestelle Covent Garden ins Scoop geeilt.Während sie in diesem exzellenten Eiscafé in Short’s Gardens an einem der wenigen Tische auf Jeanette wartete, um ihr die drei retuschierten Fotografien zu übergeben, verrührte sie den Zucker im Espresso und blätterte zerstreut im »Economist«, bis sie auf einen langen Artikel über italienische Kaffeekultur stieß, in dem behauptet wurde, der beste Kaffee Italiens würde nicht, wie landläufig verbreitet, in Neapel, sondern in Triest getrunken, wo außerdem der jährliche Durchschnittskonsum mit fünfzehnhundert Tassen Espresso pro Kopf mehr als doppelt so hoch sei als im Rest des Landes. Weiter hieß es, Triest gelte als der größte Kaffeehafen im Mittelmeerraum, dessen Ware sowohl an der Londoner Terminbörse als auch in New York gehandelt wurde. Namhafte Betriebe für alle Bearbeitungsstufen seien um ihn herum angesiedelt: Importeure von Rohkaffee, Röstereien, Kaffeemaschinenhersteller, Spediteure und Versicherungen, selbst eine Kaffee-Universität gebe es dort. Und die britischen Konsuln Charles Lever und Richard Francis Burton, zwei bedeutende Autoren des neunzehnten Jahrhunderts, hätten in der nördlichsten Hafenstadt des Mittelmeerraumes die Mehrzahl ihrer Werke verfasst – ganz abgesehen von James Joyce, der nach 1904 elf Jahre dort gelebt und die ersten Kapitel des »Ulysses« geschrieben habe. Daraus ließe sich etwas machen. Miriams Entschluss, nach Italien zu fliegen, stand fest. Sie würde sich den Trip bezahlen lassen, von einem Reisemagazin, das mit einem solchen Artikel aus ihrer Feder leicht zu ködern wäre. Als Jeanette in einem Kostüm von der Farbe des Himbeereises in der Glastheke völlig aufgelöst hereinstürmte und sich wie üblich über zu viel Stress beklagte, hatte Miriam bereits mit ihrem iPhone den Flug gebucht. Das Reisebüro in Udine, das als Absender der Erpresserfotos firmierte, hatte ihr perInternet ein Hotel empfohlen und es für sie reserviert. Eine ganze Woche wollte sie dort bleiben, Zeit genug, um in Kontakt mit den betreffenden Herrschaften zu treten und sie genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Das ist verdammt gut«, sagte Jeanette erleichtert und steckte die Fotos in den Umschlag zurück. »Wer hat das gemacht?«
»Meine Tochter. Candace ist eine Meisterin der Bildbearbeitung. Und sie stellt auch keine indiskreten Fragen. Hier sind die Originale, pass gut auf sie auf. Sie hat die Dateien zuverlässig vom Computer gelöscht. Sei ganz beruhigt. Wie sieht es mit dem Journalisten
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