Keine Frage des Geschmacks
Staatsarchiv.
»Männer, die sich an Frauen ranwerfen, die ihre Töchter sein könnten, sind das letzte.«
»Wen meinst du denn?«
»Den alten Galvano mit seiner Russin zum Beispiel«, sagte sie matt und schloss beim Hinausgehen sorgfältig die Tür.
Laurenti blieb keine Zeit, sich über ihre schnippische Äußerung zu wundern, nach einem energischen Klopfen trat Pina Cardareto mit einem Aktendeckel unter dem Arm ein, um ihn über die Wasserleiche zu unterrichten.
»Auf die knappe Meldung in der Zeitung hat sich noch niemand gemeldet, doch soeben ist die Nachricht der deutschen Kollegen eingetroffen. Harald Birken«, wie sie den Namen Bierchen aussprach, »ist ein hohes Tier in einem Fernsehsender. Fiction-Direktor. Geboren 1955, verheiratet, zwei Kinder, keine Vorstrafen. Die Familie in Frankfurt wurde unterrichtet. Er war wohl alleine unterwegs. In seinem Portemonnaie befanden sich dreitausenddreihundertzehn Euro in Scheinen, überwiegend Fünfhunderter, und zwei Euro zehn in Münzen in der rechten Hosentasche. Das sind seine Autoschlüssel«, sie legte einen Computerausdruck auf den Tisch. »Den Wagen dazu haben wir noch nicht gefunden.«
Ein Emblem, das an verseuchten Mozzarella erinnerte, der nach dem Öffnen der Packung das Blau des bayerischen Himmels annahm.
»Kennzeichen, Typ und Farbe kennen wir. Ein weißer BMW X6M, Listenpreis über einhunderttausend.«
»Ein Panzerwagen.«
»Zwei vakuumverschlossene Beutel trug er bei sich, deren Inhalt sich zur Analyse im Labor befindet. Die Fingerabdrückestammen von ihm und einer zweiten Person, die nicht in unseren Dateien ist. Und hier sind die Kopien der Notizzettel aus seinen prall gefüllten Hosentaschen.«
Auf Laurentis Tisch flatterten wie in Zeitlupe zwanzig weitere Blätter, eines nach dem anderen. Es war ein schwer entzifferbares Gekrakel. Extreme Unterlängen, kaum ausgeführte Vokale, und selbst auf den Kopien ließ sich erkennen, dass der Urheber den Kugelschreiber heftig durchdrückte und die Buchstaben eng setzte, bei anderen Notizen hatte er den Stift jedoch nur oberflächlich geführt, und die Schriftausdehnung war fahrig weit. Ein Psychologe hätte seine wahre Freude daran, ein Grafologe leichtes Spiel. Soweit Laurenti die Schrift zu deuten vermochte, handelte es sich um eine unbeherrschte Person, die sich einen feuchten Kehricht darum scherte, ob andere sein Gekrakel entziffern konnten.
»Selbst wenn er auf Italienisch geschrieben hätte, wäre es eine nimmer endende Geduldsprobe, diese Aufzeichnungen zu entschlüsseln«, sagte Laurenti und warf die Blätter auf den Tisch zurück.
»Nur wenn man sich nicht zu helfen weiß«, platzte die Inspektorin heraus und strahlte übers ganze Gesicht. »Es sind hauptsächlich Notizen zu Schauspielerinnen und Merkzettel, die den aktuellen Set betreffen. Er will sich bei Raccaro über den Location-Manager beschweren, weil der gesagt habe, man könne die Behörden nicht alle naslang um immer neue Drehgenehmigungen bitten. Vor allem könne man mit Freundlichkeit mehr erreichen. Auch mit den Nerven der anderen sei hauszuhalten. Und hier schreibt er: ›Abendkleidung der Hauptdarstellerin zu sexy, stößt bei unserem weiblichen Publikum auf Ablehnung‹.«
»Wo gibt’s denn so was? Seit wann können Sie eigentlich Deutsch, Pina?«
»Die Frau unseres Gerichtsmediziners ist Apothekerin und kommt aus …«
»Gut gemacht. Für den Staatsanwalt brauchen wir aber eine amtliche Übersetzung.«
Sie wühlte in den Papieren und zog ein Blatt hervor. »Dieses ist schon interessanter. Schauen Sie, Commissario: ›AFI‹, dreimal unterstrichen, und dann ›20 000 €‹. Datiert auf den Tag, bevor er aus dem Meer gefischt wurde. Sechzehn Uhr.«
»Zerial liegt mit seiner ersten Einschätzung des Todeszeitpunktes also richtig. Der Mann trieb nur kurz im Wasser. Doch wer zum Teufel ist AFI? Haben Sie das etwa auch schon herausgefunden?« Im selben Augenblick klingelte sein Telefon. Laurenti erkannte die Nummer, und aus einem Augenwinkel sah er, wie Pina Cardareto auf seine Frage den Kopf schüttelte.
»Haben Sie heute schon die Zeitungen in der Hand gehabt, Commissario?«, fragte die Staatsanwältin. »Kommen Sie bitte vorbei, mir liegt eine Anzeige aus London vor. Ich möchte das persönlich mit Ihnen besprechen. Delikate Angelegenheit. Um elf, wenn’s geht. Zehn Minuten nur. Arrivederci, Commissario.«
Er holte tief Luft. Iva Volpini wollte die Sache mit der britischen Politikerin doch hoffentlich nicht ihm
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