Keine Frage des Geschmacks
aufs Auge drücken. Er hatte Wichtigeres zu tun.
»AFI?«, wiederholte er. »Eine Abkürzung für was? Initialen? Eine Firma, eine Institution? Kriegen Sie’s raus, Pina.«
Er warf einen Blick auf die Uhr. »Und was sagt der Gerichtsmediziner über das U-Boot?«, fragte er schließlich.
»Er verweigert wie immer eine konkrete Auskunft, solange er die Obduktion nicht durchgeführt hat. Nichts zu machen.«
»Pina, haben Sie das Meer heute gesehen? Ein wahres Spektakel! Das Süßwasser des Isonzo hat alles vor sich hergetrieben. Baumstämme, Äste, alles. Wer weiß, was da noch im Wasser treibt. Erbitten Sie Hilfe von der Küstenwache, und am besten nehmen auch Sie selbst ein Boot von den Kollegen der Wasserschutzpolizei. Fahren Sie Richtung Grado, lassenSie sich die Strömungsverhältnisse erklären. Und bitten Sie die Dienststelle in Monfalcone, dort die Parkplätze entlang der Strände und Anleger nach dem BMW abzusuchen. Jede Wette, dass er dort ins Wasser gegangen ist.«
»Oder gegangen wurde«, fügte sie an.
Pina Cardareto hatte oft den Instinkt des Kommissars bewundert, nicht alles war durch Laboranalysen zu lösen. Es hatte seine Vorteile, mit einem Ermittler zusammenzuarbeiten, der keine Furcht vor Obrigkeiten zeigte und für den das Regelwerk des Sicherheitsapparats von großer Elastizität war.
»Muss das wirklich sein?«, fragte Pina zögerlich. »Schicken Sie bitte einen Kollegen.«
Nie hatte Pina einen Hehl daraus gemacht, dass ihr jegliche Form von Wassersport zuwider war. Jedes Mal, wenn der Job von ihr verlangte, auf ein Boot zu steigen, hielt sie sich krampfhaft an der Reling fest und hoffte mit grünlichem Gesicht darauf, dass der Horrortrip schnell zu Ende ging. Die Fahrt nach Grado und zurück, die Laurenti von ihr verlangte, würde ihr alles abverlangen, zumal die Seebären von der Wasserschutzpolizei gerne die Power ihrer Boote ausreizten.
»Es fährt, wer den Fall betreut, Kollegin. Sie werden es überstehen. Sonst noch was?« Er schob die Zeitungen beiseite, um Platz für die Akten zu schaffen.
*
Es war drei Minuten vor elf, und zum Gerichtspalast fehlten gerade noch zweihundert Meter, als Galvano in der Via del Coroneo mit dem hinkenden schwarzen Hund an der Leine und einer Tageszeitung in der Hand aus der Bar Basso herausschoss und ihn am Ärmel packte. Als hätte er dem Commissario aufgelauert. In letzter Zeit zeigte sich der zwangspensionierte Gerichtsmediziner häufig in dieser kleinen Bar,in der ausschließlich regionale Köstlichkeiten serviert wurden, vom Kaffee über Bier, Wein, Schinken und Käse – Wodka, Campari oder Coca-Cola bestellte man vergeblich. Laurenti warf einen Blick über Galvanos Schulter und sah, wie die blonde Russin am Tresen ihr Weinglas in einem Zug leerte und den Wirt in einem geröllartigen Wortschwall nachzuschenken aufforderte. Der Alte war also wieder unter Aufsicht.
»Alles Quatsch, Commissario! Der ist doch nicht Superman, der ist nur ein gelifteter Greis.« Galvano wedelte mit dem Blatt, dessen aufgeschlagene Seite ein großes Konterfei des Premiers zeigte und daneben das Bild eines blonden Callgirls aus Apulien mit herben, fast maskulinen Gesichtszügen. »Diese Sex-Abenteuer sind doch inszeniert«, brüllte der Fünfundachtzigjährige speichelspeiend, als befände er sich nicht in Triest, sondern am Speakers’ Corner im Londoner Hyde Park.
Zwei ältere Damen, die im Fischladen und den Feinkostgeschäften am Largo Piave ihre Einkäufe fürs Mittagessen getätigt hatten, blickten sich neugierig nach ihm um. Obwohl sie keinen Meter von Galvano entfernt standen, schien dieser sie nicht zu bemerken. Sie stellten ihre Einkaufstüten ab und blockierten den Gehweg. Galvanos schwarzer Köter schnüffelte unbeachtet an einer der Tüten.
»Eine Weibergeschichte nach der anderen. Glaubst du etwa, der ist wirklich so gut im Bett, wie es in den Abhörprotokollen steht? In seinem Alter? Und dann reißt er angeblich auch noch ein achtzehnjähriges Blondinchen auf, das ihn in aller Öffentlichkeit schamlos Papi nennt.«
Galvano hatte sich bereits heiser geschrien und weitere Zuschauer angelockt. Inzwischen steckte der struppige Kopf seines Hundes ganz in der Einkaufstüte.
»Ganz unrecht hat dieser Grantler ja nicht«, sagte die eine der beiden Damen mit dem blonden Pferdeschwanz. »Es istschon erschreckend, wie viele Frauen es gibt, die einmal an der Macht lecken wollen.«
»Was führt sich der Alte eigentlich so auf«, maulte ein Mann mit
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