Keine Frage des Geschmacks
lieber draußen sagen, ohne Publikum.«
»Nichts dagegen«, sagte Miriam, »die Piazza müsste groß genug für uns sein.«
Trotz der Wichtigkeit, die er vorgegeben hatte, trottete derDicke schneckenlahm hinter Miriam her, die in leichtem, federndem Gang auf den »Brunnen der vier Kontinente« vor dem Rathaus zusteuerte. Noch vor gar nicht langer Zeit hatte man das Monument wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückversetzt. Im Jahr 1938 hatte es einem imposanten Podium in Form eines monströsen Schiffsbugs weichen müssen, von dem herab Mussolini die italienischen Rassengesetze verkündet hatte.
An den grauen Stein gelehnt, wartete Miriam darauf, dass Gazza sie endlich einholte. Während er auf sie zuwatschelte, sah er sich immer wieder hastig um. Der Reibungswiderstand der aneinanderstreifenden Oberschenkel musste erheblich sein, er lächelte gequält, als schien es ihm nun unangenehm zu sein, mit ihr auf der riesigen, stark bevölkerten Piazza gesehen zu werden. Die Stühle vor den gut besuchten Cafés waren alle besetzt. Sie betrachtete die verwitterten Statuen. Vandalen hatten der Figur, die Afrika verkörperte, den Kopf abgeschlagen und der Amerika und der Asia die Arme. Auf der Spitze des Brunnens schwebte die beflügelte Skulptur der Pheme auf in Stein gehauenen Kisten und Ballen, als hätte sie soeben ihre Koffer gepackt, um eine Reise ohne Wiederkehr anzutreten. Die vier Brunnenbecken aber, welche die bedeutendsten Flüsse der vier damals bekannten Kontinente symbolisieren sollten, waren trocken, der Nil neben der kopflosen Afrika mit dem Löwen zu Füßen genauso wie die Donau, der Ganges und der Rio de la Plata.
Der Schweiß lief Gazza von der Stirn, er atmete schwer, als er endlich vor Miriam stand. Das Taschentuch, mit dem er sich übers Gesicht wischte, war sauber. Noch einmal schaute er sich misstrauisch um, bevor er auf ihren fordernden Blick antwortete.
»Den Kerl auf dem Foto habe ich schon einmal gesehen.«
»Das überrascht mich nun wirklich nicht. Sie haben ja wohl auch den Auslöser betätigt.«
Gazza machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber ich weiß nicht, wie er heißt.«
»Aurelio«, half ihm Miriam. »Zumindest nennt er sich so.«
»Es war vor ein paar Monaten, und er war in Begleitung eines Mannes, den jeder kennt. Sehr einflussreich übrigens, Raffaele Raccaro, er hat seine Büros an der Piazza Oberdan.«
»Ach ja? Und wann war das?«
»Bei einer Besprechung, die ich mit Raccaro hatte. Der Kerl ist so etwas wie sein Laufbursche.«
»Sehen Sie, Gazza, es geht doch. Sie haben also mit diesen Herrschaften zu tun?«
»Ich buche die Flüge für die AFI, ›Action Film Italia‹, Hotelzimmer in der ganzen Region, Appartements, Limousinenservice und alles andere. Raccaro hat ein Serviceunternehmen für Filmteams und auch eine Casting-Agentur. Und ein großes historisches Fotoarchiv. Abgesehen davon ist er an vielen anderen Unternehmen beteiligt.«
»Und was hat er mit dieser Erpressung zu tun?«
»Ich bin mir sicher, dass er darüber im Bilde ist, was dieser Aurelio treibt. Hier läuft nichts ohne sein Einverständnis.«
»Deuten Sie damit an, ich möge mich an diesen Raccaro halten?«
»Das nicht. Aber wenn Sie Aurelio finden wollen, dann …«
»Und jetzt werden Sie mich vermutlich gleich darum bitten, dass ich Ihren Namen nicht nenne, sollte ich Raccaro aufsuchen, um mich nach Aurelio zu erkundigen.«
»Sie haben doch gesehen, dass ich guten Willens bin, Signora. Ich könnte Ihnen vermutlich besser behilflich sein, wenn er es nicht wüsste.« Wieder schaute sich Gazza um. Als hätte dieser Raccaro an jeder Ecke Spione stehen, die ihn sofort von der Begegnung mit der schönen Afrikanerin unterrichteten.
»Und wie lautet die Adresse?« Miriam hatte nicht die geringste Absicht, diesem Kerl, von dessen versifften Reisebüroder Erpresserbrief an ihre Freundin Jeanette McGyver abgeschickt worden war, ein Versprechen zu machen. Und sie fragte sich, weshalb Gazza ihr plötzlich all diese Informationen lieferte.
»Bei der Endhaltestelle der Straßenbahn nach Opicina. Piazza Oberdan 3, das Eckgebäude zwischen der Via Carducci und der Via XXX Ottobre heißt Palazzo Vianello, Sie erkennen es mühelos an den vier Obelisken auf dem Dach. Seine Büros belegen das ganze Gebäude.«
»Und weshalb sagen Sie mir das? Glauben Sie etwa, Sie könnten sich damit freikaufen? So einfach kommen Sie kaum davon.«
»Ich habe mit diesen Fotos wirklich nichts zu tun.« Der Dicke fuhr sich
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