Keine Frage des Geschmacks
gehabt und trotzdem scharfe Bilder geschossen.
Aber dass Jeanette sich nun als Spielverderberin aufführte, namhafte und sicher sündhaft teure Anwälte engagierte und auch noch sehr geschickt die überregionale Presse mobilisierte, stieß ihm übel auf. Es interessierte ihn brennend, wensie da auf Giulio Gazza gehetzt hatte, der sich vor Angst beinahe in die Hosen machte. Wo blieb der Kerl? Zwanzig Minuten waren bereits vergangen, seit er im Grandhotel verschwunden war. Er hatte ihm doch befohlen, die Journalistin auf die Piazza zu locken, wo er sie ungestört beobachten und ihr danach womöglich auch folgen konnte. Aurelio überlegte, wie er das weitere Vorgehen planen sollte. Seine Idee, Gazza ebenfalls einen Anwalt auf den Hals zu hetzen und auf Schadenersatz zu verklagen, fand er geradezu genial, zumal der Trottel alle Unterlagen bei ihm hatte liegenlassen. Besser konnte er sich weder reinwaschen noch rächen.
Endlich sah er die beiden, und Aurelio wunderte sich über Giulio Gazza, der mit großem Abstand hinter der Frau herwatschelte, die zielstrebig auf den Brunnen vor dem Rathaus zusteuerte und sich dort an den Beckenrand lehnte. Der Fettsack zog seine Füße nach, als klebte Leim an seinen Sohlen, jeder Schritt fiel ihm schwer, und das frische Polohemd zeigte dunkle Schweißflecken. Aber weshalb schaute er sich alle paar Meter um, als würde er verfolgt? Der Kerl war schrecklich nervös. Fürchtete er etwa eine neue Attacke, hier, auf dem belebtesten Platz der Stadt? Eigentlich eine blendende Idee, dachte Aurelio, nippte an dem geeisten Espresso und legte ein paar Münzen auf den Tisch. Er müsste sich etwas einfallen lassen, jetzt aber würde er dieser Engländerin folgen. Und sie durfte ihn auf keinen Fall zu Gesicht bekommen, denn auf den Fotos war er deutlich zu erkennen. Wollte er ihr weiteres Vorgehen studieren, dann musste das aus dem Verborgenen geschehen.
*
Miriam hatte Durst, war aber zu unruhig, um in eine der zahlreichen Bars direkt an der Piazza einzukehren. Lange lief sie durch die Stadt, bis sie auf einen kleinen Platz stieß, woein mächtiger Giuseppe Verdi aus Bronze auf einem Sockel thronte, auf dessen Kopf eine Möwe auf einem Bein stand und abkotete. Weiße Schlieren zierten des Maestros Schulter. Sie fand einen freien Tisch vor dem Lokal. Der Barmann, ganz in Schwarz, sprach sie auf Französisch an und entschuldigte sich sogleich, als sie in der Landessprache antwortete. Kurz darauf brachte er ihr ein Glas Schaumwein vom Karst, ein exzellenter Spumante-Rosé auf Pinot-noir-Basis von Edi Kante, wie er sagte, dann stellte er sich selbst als Walter von der Malabar vor – und zog sich zurück. Ein Name wie ein Graf, Manieren wie ein Gentleman. Sie nippte an ihrem Glas und dachte nach.
Jeanette hatte doch erzählt, dass Aurelio bei einem einflussreichen Geschäftsmann arbeitete, wenn er gerade keine Touristinnen abschleppte. Und wenn Gazza nicht gelogen hatte, dann musste es sich dabei um diesen Raccaro handeln, der seinem Mitarbeiter angeblich den Lohn schuldete. Er sei Gründer eines gigantischen, auf Kriegsfotografie spezialisierten Archivs, eine der größten Sammlungen überhaupt, in die er sein Geld steckte. Und Aurelio hatte seiner englischen Flamme besorgt erzählt, er sei ein gefährlicher Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte, skrupellos in jeder Hinsicht. Der arme kleine Deckhengst mit seiner schwarzen Mähne beschrieb sich selbst als ein Opfer mit guten Verbindungen, die ihm aber in eigener Sache zum Nachteil gereichten. Einen Ausweg aus dieser Falle kannte er angeblich nicht, und er hatte zu befürchten, dass es ihm Schlag auf Schlag schlecht ergehen könnte. Wenn das keine versteckte Drohung war! Und Jeanette ist darauf reingefallen.
»Hier, schöne Armreifen, alles Handarbeit. Glücksbringer, Talismane.« Abrupt wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Vor Miriam stand ein hochgewachsener Schwarzer in einem dunkelblauen Kaftan und mit einer Wollmütze auf dem Kopf, der eine schwere Tasche über der Schulter und in derlinken Hand ein Gestell mit kunsthandwerklichem Schmuck aus Holz, Schildpatt und Kupfer trug.
»Kauf etwas«, sagte er und führte ungefragt die Armreifen vor. »Die hier sind alle aus meinem Dorf. Reine Handarbeit. Garantiert. Dieser ist gegen den bösen Blick und der gegen Rheuma, der da hilft bei Monatsbeschwerden und jener gegen die Polizei, das Finanzamt und höhere Gewalt.«
»Wo ist dein Dorf?«, fragte Miriam.
»Somalia.«
»Und wo da
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