Keine Frage des Geschmacks
genau?« Sie versuchte es auf Somali, das auch in einigen Gebieten im Südosten ihres Landes gesprochen wurde und das sie noch einigermaßen beherrschte, obgleich sie die Sprache seit ihrer Recherche nach der wahren Todesursache ihres Mannes in Mogadischu nicht wieder angewendet hatte.
Der Mann schaute sie verblüfft an und steckte seine Reifen auf das Gestell zurück. Er murmelte einen Namen, den sie nicht verstand.
»Von wo kommst du?« Er sah an ihr vorbei.
»Jimma, Äthiopien«, antwortete Miriam und wurde von einem hageren Alten mit einem hinkenden schwarzen Hund unterbrochen, der den Straßenverkäufer mit Alberto begrüßte und ihm lächelnd die Hand gab, worauf dieser sich für einen Augenblick von ihr abwendete. Miriam nutzte die Gelegenheit und bestellte noch ein Glas Spumante.
»Heißt du wirklich Alberto?«, fragte sie.
»Abdulla Abd-al-Qadir Mahamadou«, antwortete er blitzschnell und strahlte übers ganze Gesicht. »Das können die hier nicht aussprechen, deswegen nennen mich alle Alberto. Also, kaufst du oder nicht?«
Miriam betrachtete die Gegenstände und entschied sich für einen grob geschmiedeten Armreif aus Kupfer, der tatsächlich aus Afrika stammen konnte und nicht aus einer chinesischen Stanzmaschine. Der Straßenverkäufer verlangtezwanzig Euro, doch am Ende des zähen Gefeilsches, welches sie wiederum auf Somali führten, gab er sich mit fünf zufrieden. Miriam beobachtete, wie er die Menschen an den anderen Tischen vergeblich zum Kauf zu überzeugen versuchte. Mit vielen pflegte er geradezu freundschaftlichen Umgang. Ein Mann um die fünfzig in einem grauen Anzug, den der Alte mit dem schwarzen Hund mit Commissario begrüßt hatte, spendierte ihm schließlich ein Glas Milch. Auch er nannte den Straßenverkäufer Alberto. Eine eigenartige Gesellschaft, die den schwarzen Moslem wie einen Freund behandelte, der wiederum heiter mit trinkenden Frauen scherzte.
*
»Endlich komm ich durch. Du hast nie abgenommen. Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich heute Abend später nach Hause komme«, sagte Laura, als Proteo endlich antwortete. Er hatte den Klingelton an seinem Mobiltelefon so leise gestellt, dass er ihn bei all dem Stimmengewirr in der Gran Malabar erst beim dritten Anruf hörte. »Aber mach dir keine Sorge, Mutter wird das Essen bereiten.«
»Und wo bist du?«, fragte Laurenti und hielt sich das andere Ohr zu, weil ein Streifenwagen mit eingeschalteter Sirene vorbeidonnerte.
»Ach, an der Stazione Rogers, zum Aperitif mit zwei Freundinnen.«
»Schon wieder?«
»Sie haben mich zu einem Segeltörn eingeladen. Wir besprechen das gerade. Es kann übrigens sein, dass wir schon am Samstag um die Mittagszeit auslaufen und erst Sonntagabend oder Montag zurückkommen. Drei Frauen alleine haben sich viel zu erzählen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Und wie ich höre, bist du schon wieder im Einsatz. Üblicherweise verbringst du die Tage darauf sowieso im Büro.«
Laurenti passte es nicht, mit vollendeten Tatsachen konfrontiert zu werden. »Ein Wochenende mit allen zusammen hätte mir schon gefallen«, sagte er trotzig. »Im Sommer verläuft sich die ganze Familie ständig, man sieht sich kaum.«
»Wenn du willst, verzichte ich natürlich, Schatz. Ich sag es ihnen gleich.«
Dieser Tonfall war ihm seit langem vertraut. Immer hatte sich Laura damit durchgesetzt: vorwurfsvolle Nachgiebigkeit, gegen die es keine Argumente gab.
»Ach, Quatsch, lass nur«, sagte Laurenti rasch. »Vergnüg dich, das Wetter ist ideal. Wir sehen uns dann später.«
Die Sonne stand schon tief und würde in Kürze als roter Feuerball im Westen versinken, als der Kommissar leicht angeheitert und mit langem Magen den Alfa Romeo an der Küstenstraße parkte und die Treppen zum Haus hinabstieg. Wie jeden Tag fiel ihm der Schutthaufen ins Auge, den die Bauarbeiter dort übriggelassen hatten, als sie im späten Frühjahr abgezogen waren und die Familie endlich wieder Herr über die eigenen Räume geworden ist. Fast zwei Jahre hatten die Laurentis auf die Erteilung der Baugenehmigung gewartet, obgleich es sich lediglich um eine kleine Erweiterung handelte, die den Anforderungen der sich rasch vergrößernden Zahl der Bewohner gerecht werden sollte. Daraus hatte sich eine wahre Zerreißprobe für die Nerven aller entwickelt. Die wilde Horde der Bauarbeiter belagerte das Haus und besetzte das Grundstück, als wäre es ihr eigenes. Nur Marco war es gelungen, sie von den unteren Terrassen fernzuhalten, wo
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