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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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die Espressokultur sogar in den Norden exportiert, zuerst nach Holland und Schweden. Heute sind wir in einhundertvierzig Ländern vertreten. Es ist etwas Besonderes. Man importiert einen Rohstoff, veredelt ihn und beliefert die Welt damit.«
    »Nach Holland und Schweden?« Ein vergeblicher Missionierungsversuch.
    Sobald der Mann von Ethik, Nachhaltigkeit und Umweltschutz sprach, hakte Miriam nach. Auf dem Tisch lagen Kunststoffkapseln und einzeln verpackte Tabs, die den perfekten Espresso auch zu Hause ermöglichten. Selbst wenn die Hersteller heute unterstrichen, dass alle Standards und Normen eingehalten würden, kam, dem Geschmack zuliebe, doch eine Menge Abfall zustande. Auf ihre Frage nach den Anbaugebieten verwies er auf unternehmerische Weitsicht, die bessere Arbeitsbedingungen und höhere Erträge für die Kleinbauern und dadurch kontinuierliches Wachstum und bessere Qualität garantierte. »Fair-Trade« reiche allein nicht und sei lange nur eine feine Idee gewesen, die lediglich einen winzigen Teil des Marktes abzudecken vermochte und nichtfür Qualität bürgte. In Miriams Heimatland, aus dem der feinste Hochland-Arabica-Kaffee der Welt stamme, habe die Firma in den Ausbau der Infrastruktur investiert, in Straßenbau und Elektrifizierung. Und seit zwanzig Jahren arbeite man mit den gleichen Partnern zusammen. Sie überlegte, wie viel Wahrheit sie generell aus den Worten erfolgreicher Geschäftsleute erhoffen konnte – mit dem großen Crash und der noch lange nicht überstandenen Wirtschaftskrise hatten sich der Wortschatz und Reichtum an Argumenten der Politiker, Banker und Unternehmer so ausgedehnt wie die Geldmenge, die von den Notenbanken in die Märkte gepumpt wurden. Doch dieser Mann legte glaubhaft dar, dass es im Interesse seiner Rösterei lag, wenn Beständigkeit bereits in der Plantage begann, um damit konstante Qualität zu garantieren, durch die man sich von den anderen Anbietern am Markt unterschied. In Äthiopien hingen siebzehn Millionen Menschen vom Kaffeeanbau ab und verdienten weniger als einen Dollar am Tag. Bis zu einhundertfünfzig Handelsstufen lagen zwischen den Kleinbauern und den Großabnehmern im Ausland, sofern kein direkter Kontakt zu den Importeuren bestand.
    Zum Abschied erhielt Miriam ein Set mit Tassen aus Künstlerhand, eine Dose gemahlenen Kaffees und ein von ihm herausgegebenes Fachbuch. Auf der Rückfahrt im Taxi blätterte sie es durch, ihr Blick blieb an einer Statistik hängen: Wie zum Teufel konnte es sein, dass Äthiopien unter den Hauptanbauländern nur den zweitletzten Platz vor Uganda belegte? Obwohl in ihm vor fast tausendfünfhundert Jahren der Kaffee entdeckt und erst Jahrhunderte später mit der Ausdehnung des Islam und den ersten weltläufigen Handelsbeziehungen zuerst nach Venedig kam und dann über die Kolonialmächte Frankreich, England und Holland nach Asien und schließlich nach Südamerika exportiert wurde. Es gab kein Gleichgewicht im Welthandel, dachte Miriam, und dieHungersnöte hatten ihre Ursache nicht in der sogenannten Unterentwicklung, sondern in der Entwicklung der Märkte der letzten hundert Jahre. Auch wenn der Weltmarktpreis in Äthiopien täglich über das Radio verkündet wurde, gab es zu viele Menschen, die keinen Apparat besaßen, über den sie sich hätten informieren können. Oft lag ihr Ertrag nur bei der Hälfte des offiziellen Wertes – wer also profitierte davon?
     
    *
     
    Noch unter der Dusche meinte sie den Duft frisch gerösteten Kaffees zu riechen. Das Telefon klingelte lange, sie hörte es erst, als sie den Föhn abschaltete. Die Dame von der Rezeption teilte ihr mit, dass ein Signor Gazza sie dringend zu sprechen wünsche. Das ging verdammt schnell, dachte Miriam und schauderte bei dem Gedanken, dass er sich an der Rezeption präsentierte. Was für ein Licht würde eine solche Bekanntschaft auf sie werfen? Sie ließ ausrichten, er möge sich eine Viertelstunde gedulden.
    Sie traute ihren Augen nicht, als sie die Lobby betrat. Gazza erschien gepflegt und in sauberer Kleidung. Natürlich spannte das zirkuszeltartige Polohemd, und er schwitzte heftig.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Mrs. Natisone, und danke, dass Sie sich die Zeit nehmen.« Er überschlug sich beinahe vor Höflichkeit.
    Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand.
    »Ich muss Sie dringend sprechen.« Dabei sah er sich um, als suchte er einen Raum, wo ihn niemand hören konnte. »Vielleicht habe ich etwas erfahren, das Sie interessiert. Aber ich würde es Ihnen

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