Keine Frage des Geschmacks
dass am nächsten Tag eine andere Truppe käme und die Arbeiten termingerecht abschließen würde. Auch diese zogen dann eines Tages unangekündigt ab, nachdem sie ihre Gerätschaften und das unverbrauchte Baumaterial abtransportiert hatten. Den Schutthaufen aber trug niemand ab, trotz aller telefonischer und schriftlicher Beschwerden. Laurenti würde es wohl selbst übernehmen müssen, sobald die große Hitzewelle überstanden wäre. Bis dahin ärgerte er sich jeden Tag über den Anblick.
Und nach den Ferien würden dann auch die Dachdecker nochmals auftauchen – hoffentlich bevor das nächste Gewitter wieder für Sturzbäche im neuen Anbau sorgte, die die Familie mit Eimern aufzufangen versuchte.
Der Tisch auf der Terrasse war nur für ihn gedeckt. Lauras Mutter saß wie immer vor dem Fernseher und winkte ihm zu, als wäre er ein gerngelittener Gast und nicht der Hausherr. Sie folgte einer dieser abgedroschenen Fernsehwetten, mit denen man die Bürger zu widerspruchslosem Wahlvolk abrichtete. Dann erhob sie sich und ging in die Küche, wo sie sein Abendessen zubereitete.
»Schläft die Kleine schon?«, fragte Laurenti.
»Patrizia wechselt gerade die Windeln«, sagte die Alte und schüttete die Pastasciutta ab, die sie dann in der Schüssel mit kleingeschnittenen frischen Tomaten, Peperoncini, Knoblauch und Olivenöl vermischte und mit Basilikum aus Marcos Anbau bestreute. »Barbara hat Durchfall.«
Laurenti entkorkte eine Flasche Malvasia von Škerk und trug sie hinaus. Der naturreine Weißwein des Karsts war einZaubertrank, der ihn selbst in den schlimmsten Momenten wieder aufrichtete.
»Du trinkst immer so viel Wein, Proteo«, sagte Lauras Mutter, als sie den Teller auf den Tisch stellte.
»Und abgesehen vom Durchfall, wie geht es unserem Baby?«
»Sie ist eigentlich immer heiter, außer wenn sie Hunger hat.« Die gute Camilla machte keine Anstalten, sich zu ihm zu setzen. Aus dem Salon tönte der Fernseher, »Glück oder Liebe«, brüllte unter jubelndem Applaus der Showmaster.
»Das ist doch klar«, sagte Laurenti und drehte die Gabel in die Spaghetti. »Das Baby strengt dich doch hoffentlich nicht zu sehr an.«
»Ach nein, Kinder sind immer eine Freude. Aber ehrlich gesagt, ich glaube, dass deine Lieblingstochter sich ein unnötiges Problem aufhalst.«
Proteo schaute erstaunt auf. »Wieso?«
»Ich mein ja bloß, es ist nicht gut, dass Gigi so lange unterwegs ist. Ein Vater gehört zu Frau und Kind und nicht auf ein Frachtschiff. Patrizia ist einsam. Und das in ihren jungen Jahren.«
»Also langweilig ist ihr sicher nicht. Morgens geht sie arbeiten, den Nachmittag hat sie frei. Die ganze Familie ist da. Hier geht’s doch zu wie in einem Hühnerstall.«
»Das meinte ich auch nicht, Proteo. Aber ich finde, du solltest mit ihr reden. Ihr seid doch aufeinander eingeschworen wie sonst niemand im Haus.«
»Und worüber, Camilla?« Er nannte sie nicht sehr oft bei ihrem Namen. Eigentlich nur dann, wenn er sich etwas mehr Autorität verschaffen wollte. Sonst rief er sie Schwiegermutter oder halb scherzend Signora Camilla oder Signora Tauris.
»Du weißt ja, ich bin den ganzen Tag zu Hause. Und mir entgeht nichts. Ich würde es ja gut verstehen, wenn Patrizia sich in ihrer freien Zeit mit ihren Freundinnen trifft. So wie ihre Mutter.«
»Und du meinst also, sie ist zu viel allein, hat zu wenig Freunde?«
»Nein, das meinte ich nicht. Aber ich halte es für fragwürdig, dass seit genau zwei Wochen jeden Nachmittag ein junger Mann bei ihr am Strand liegt.«
»Und?«
»Und sie sich küssen. Von den Berührungen will ich erst gar nicht reden. Einfach obszön.« Seine Schwiegermutter blickte in die Dämmerung hinaus, als stammten ihre Worte von jemand anders.
Laurenti hob die Augenbrauen. »Du meinst also, sie setzt Gigi Hörner auf?«
»Ich will gar nichts gesagt haben. Ich weiß ja, dass die jungen Leute vieles anders sehen. Aber mit den Kindern manchmal ein paar klare Worte zu tauschen, hat noch nie geschadet. Bevor es zu spät ist.« Mit dieser Predigt wandte sich Signora Camilla ab.
»Die tun doch sowieso, was sie wollen. Lass sie leben!«
»Bei euch hier in Triest gelten immer besondere Regeln. Oben im Friaul gibt es so was nicht, da ist das Leben in Ordnung.«
Er verbiss sich jeden Kommentar. In der Tat folgte das hundert Kilometer nördlich am Fuße der Karnischen Alpen gelegene San Daniele einem anderen Rhythmus, insbesondere seit der schmucke Ort, in dem der berühmte Schinken
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