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Keine Frage des Geschmacks

Keine Frage des Geschmacks

Titel: Keine Frage des Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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den Flughäfen Wien und Rom. Aus den Medien erfuhr Miriam vom Mord an der Amerikanerin Diane Fossey, die in Ruanda für den Schutz der Berggorillas und ihres Habitats gekämpft hatte.
    Als Candace gerade fünf Monate alt war, flog der Atomreaktor von Tschernobyl in die Luft, die Nachrichtensender meldeten anfangs nur sehr zögerlich und banalisierten die Gefahren. Und ein Jahr später deregulierte Maggie Thatcher den Börsenplatz London. Mit dem »Financial Services Act«wurde der elektronische Wertpapierhandel eingeführt – und dem Wildwuchs an den Weltbörsen freie Bahn verschafft. »Big Bang« hieß der Tag, auch wenn der wirklich große Knall erst zweiundzwanzig Jahre später erfolgte – und vor allem die Länder der Dritten Welt mit voller Wucht traf.
    Candace kam zu Hause in der Colville Mews am 11. November 1985 um 23.59 Uhr zur Welt. Zumindest stand es so in ihrer Geburtsurkunde. Eine Hebamme und drei Freundinnen aus der Nachbarschaft waren dabei gewesen. Und beinahe auch Spencer, der nervöser war als alle Frauen zusammen. Seit dem Einsetzen der ersten Wehen war er pausenlos in der Wohnung herumgelaufen, bis Miriam ihn bat, in der Nachbarschaft ein paar Besorgungen zu machen. Als er zurückkam, roch sein Atem nach Bier und Whisky. Eine der Freundinnen lotste ihn ein Stockwerk höher zu ihrem Mann. Er wankte bedenklich, als er endlich gerufen wurde und das Neugeborene mit ausgestreckten Armen hochhielt, worauf er zum Schrecken aller das Gleichgewicht verlor und rückwärts auf das Bett fiel. Über Miriams Schienbeine, die vor Schmerz aufschrie. Doch er hielt Candace fest und betrachtete sie voller Glück, bevor er sie laut lachend der Mutter gab. Und noch lauter lachend hatte er sich wieder zurückgelegt und war auf der Stelle eingeschlafen. Eine Vergrößerung dieses Schnappschusses hing über Miriams Schreibtisch und zierte als Bildschirmschoner den Laptop, auf den sie starrte.
     
    *
     
    Es war zweiundzwanzig Uhr. Die Orte, die sie bisher aufgesucht hatte, versuchte sie zu meiden. Sollte sie Aurelio dennoch über den Weg laufen, würde er sie wohl kaum wiedererkennen. Gleich nach dem Gespräch mit Candace hatte sie sich mit dem Färbemittel ans Werk gemacht und das Haar glatt geföhnt. Sie hatte sich die Lippen geschminkt, was siesonst nie tat. Das Sommerkleid im selben Farbton sorgte für den Rest. Rot in Rot saß sie in diesem Raum, von dessen Decke rote Lampions baumelten, und kehrte Tresen und Tür den Rücken.
    »Hier, Glücksbringer gegen das Finanzamt, gegen Monatsbeschwerden und böse Blicke.« Sie erkannte die Stimme hinter sich.
    Alberto machte große Augen, als sie sich ihm schließlich zu erkennen gab, und grinste übers ganze Gesicht. »Was hast du denn gemacht? Wo warst du den ganzen Tag?«
    Entgegen Rechtsanwalt Aiazzis Rat, in der Villa unter dem Leuchtturm zu bleiben, war sie in die Stadt hinuntergefahren, um Alberto zu suchen, der für gewöhnlich das ganze Zentrum abklapperte. Miriam war der einzige Gast im klimatisierten Saal eines China-Restaurants, während alle anderen die Terrasse an den Rive bevölkerten. Sie hatte gebratene Ente und Reis bestellt und hoffte, dass der fliegende Händler einfach irgendwann auftauchte.
    »Setz dich. Was willst du trinken?«, fragte sie erleichtert, als er plötzlich neben ihr stand.
    Alberto bestellte Ananassaft.
    »Der Verfolger ist mir zu aufdringlich geworden. Deshalb.« Miriam zupfte an ihrem roten Haar und fragte schließlich auf Somali: »Hast du die Kamera dabei?«
    Alberto schüttelte den Kopf. »Ich dachte schon, du wärst abgehauen, um dir die zweite Rate zu sparen. Da hab ich sie zu Hause gelassen. Ich gebe sie dir an einem Ort, der sicher ist. Morgen früh um sechs. Im Park von Schloss Miramare.«
    »Im Park? Um sechs? Weshalb?«
    »Ich wohne in der Nähe.«
    »Dann komm ich zu dir.«
    »Man soll uns nicht mehr zusammen sehen. Ich habe keine Lust, wegen dir meine Aufenthaltserlaubnis zu riskieren. Diese Leute haben zu viel Einfluss. Du kannst jederzeitnach London zurück und dein schönes Leben weiterführen, ich aber muss hierbleiben und Geld verdienen. Ich erkläre dir, wie du reinkommst.«
    Alberto verschwand so plötzlich, wie er gekommen war, als der Kellner ihr Essen servierte. Dass das Gericht von einem Meister zubereitet worden war, konnte man nicht behaupten. Drei Löffel scharfer Soße putschten es etwas auf. Als sie sich umdrehte, um ein Bier zu bestellen, erschrak sie. Der Kerl am Tresen hatte gerade den obligatorischen

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