Keine Gnade
arbeiten?«
»Wenn es hilft, diesen Wichser zu finden â entschuldigen Sie meinen Ausdruck â, würde ich das nur zu gern tun.«
»Vielen Dank, Tiny. Haben Sie auf dem Führerschein vielleicht seinen Namen gesehen oder eine Adresse?«
»Nein. Aber als er ihn mir gegeben hat, konnte ich in seiner Brieftasche kurz einen anderen Ausweis mit Foto sehen. Ich bin mir nicht sicher, aber ich meine, da war so ein medizinisches Symbol drauf.«
»Was für ein medizinisches Symbol?«, fragte Sami.
»Das mit den Flügeln oben und zwei Schlangen um einen Stab gewickelt.«
Sami hatte dieses Bild schon gesehen. Als Emily Sami ihr Krankenschwesterdiplom zeigte, hatte Sami aus purer Neugier nach dem medizinischen Symbol gefragt, das auf das Diplom gestempelt war, ein Symbol, das Sami sicher schon hundert Mal gesehen hatte. Emily hielt ihr einen ungefähr zehn Minuten langen detaillierten Vortrag über den Ursprung des Symbols. Und Sami konnte sich noch an die Bezeichnung erinnern: Kadukäus.
»Sonst noch etwas?«
»Ich fürchte nicht.«
»Sie haben uns sehr geholfen«, sagte Sami, fasste in ihre Tasche und reichte Tiny und Philippe jeweils eine Visitenkarte. »Können Sie morgen früh zwischen neun und zehn Uhr zum Revier kommen, Tiny?«
»Ich werde um neun da sein.«
»Und rufen Sie mich an, wenn Ihnen irgendetwas einfällt â auch wenn es Ihnen noch so unbedeutend vorkommt.«
28    Julian hatte noch nicht ganz herausgefunden, was Peter Spencer bezweckte, fragte sich aber, wieso ihn der Privatdetektiv beschattete. Spencer hatte es wahrscheinlich nicht bemerkt, aber Julian hatte ihn entdeckt, als er auf der anderen StraÃenseite vom Postamt parkte. Während Julian im Amt war, um den Umschlag abzuholen, den Spencer dort deponiert hatte, konnte er sehr gut nach drauÃen sehen, während Spencer wegen der verspiegelten Fensterscheiben nicht hineinsehen konnte. Julian hätte Spencer eine InÂdiskretion verzeihen können. Vielleicht hatte der Privatdetektiv eine plausible Erklärung zu bieten. Doch als Julian Spencer auf der anderen StraÃenseite des Del-Mar-Kinderwunschzentrums stehen sah, hatte der Privatdetektiv seine ganze Glaubwürdigkeit verloren. Spencer hatte sich als »König der Diskretion« bezeichnet, doch seine Definition von Diskretion wich beträchtlich von der Julians ab.
Seine Gedanken schweiften zu seiner Familie. Einmal abgesehen von ein paar oberflächlichen Gesprächen, wenn er seine beiden Kinder einen Abend abholte, um mit ihnen Burger zu essen und den Vergnügungspark Belmont Park zu besuchen, hatte Julian kaum mit Nicole geredet. Sie hatten nicht über ihre Probleme gesprochen. Aber er war zufrieden damit. Je länger er eine folgenschwere Aussprache vermeiden konnte, umso besser. Er fühlte sich wohl in seinem Loft, nur wegen seiner Töchter hatte er ein schlechtes Gewissen. Doch so sehr ihn dies auch schmerzte, er konnte es sich nicht leisten, abgelenkt zu werden, und musste mit seiner Suche nach einer weiteren Testperson vorankommen.
Die Temperatur lag heute bei etwas über dreiÃig Grad, weshalb Julian sich ein kaltes Bier nahm â sonst nicht sein übliches Getränk zum Durstlöschen. Er hatte sich die Informationen, die Spencer auf dem Postamt deponiert hatte, nur flüchtig angesehen, weil sein Terminplan im Krankenhaus irrsinnig voll gewesen war. Dies war nun seine erste Gelegenheit, die Informationen genau durchzugehen.
Er las Seite für Seite, Detail um Detail, aber es fiel ihm nichts Besonderes auf. Nichts, womit er etwas anfangen konnte. Vor ihm lag genügend biografisches Material für ein Exposé über Samantha Marie Rizzo. All die Daten, Namen, Anlässe und Orte, die dieser informative kleine Stapel enthielt, erstaunten ihn. Mit den richtigen Quellen, so schien es Julian, konnte jeder alles über jeden herausfinden. Beängstigend, dachte er bei sich.
Kurz bevor er die Unterlagen an einem sicheren Ort verstaute, fiel ihm noch etwas auf. Samis Kusine Emily wohnte bei ihr â ihre einzige Kusine. Gerade zweiundzwanzig geworden und von der Krankenschwesternschule in San Francisco abgegangen. Emily Rizzo besuchte abends regelmäÃig Yogakurse in einem Fitnessstudio in der Innenstadt.
Yogakurse?
Julian hatte sich sein Gehirn zermartert bei dem Versuch, den idealen Ort zu finden, wo er Testperson Nummer fünf
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