Keine Gnade

war Al aufgetaucht, und sie hatte das Gefühl gehabt, er sei anders. Sami war davon ausgegangen, dass sein Kampf gegen den Alkohol ihre Beziehung belasten könnte, sie hatte nicht im Traum damit gerechnet, dass Al mit einer anderen Frau schlafen würde. Und hier saß sie nun mit gebrochenem Herzen und konnte allein schon den Gedanken, dass er sie jemals wieder berühren könnte, nicht ertragen. Wie wollte sie das durchstehen? Könnte sie ihm jemals wieder vertrauen?
    Niemand vom Krankenhaus – weder Ärzte noch Schwestern – war in den Warteraum gekommen, um sie über McKenzies Zustand auf den neuesten Stand zu bringen. Sami und Al hatten dem medizinischen Personal klargemacht, dass es absolut notwendig war, sie zu informieren, sollte es auch nur das leiseste Anzeichen dafür geben, dass McKenzie zu sich kam. Der Arzt, mit dem sie zuerst gesprochen hatte – Sami konnte sich nicht an seinen Namen erinnern –, sah nicht einmal alt genug aus, um wählen zu dürfen, geschweige denn wie ein Mann, der dafür qualifiziert war, schwerkranke Patienten auf der Intensivstation zu behandeln. Oh, wie sehr wünschte sie sich, Doktor Templeton wäre hier! Aber wenn sie seinen hohen Rang im Krankenhaus bedachte, dann erwartete sie nicht, dass er viele Nachtschichten übernahm, es sei denn, extreme Umstände machten es erforderlich.

    Um Viertel nach fünf wachte Sami auf, als jemand in den Warteraum kam und sie sachte an der Schulter berührte. Völlig verwirrt versuchte Sami ihren Kopf klarzubekommen und sah vor sich einen jungen Mann im weißen Kittel.
    Â»Detective Rizzo, ich bin Doktor Chung, einer der behandelnden Ärzte von Miss O’Neill.« Er sah zu Al, der fest zu schlafen schien. »Vielleicht möchten Sie Ihren Partner aufwecken?«
    Sami griff über die zwei leeren Stühle hinweg nach seinem Arm und drückte ihn nicht allzu sanft. Er zuckte zusammen und öffnete die Augen. »Was zum Teufel ist los?« Al rieb sich die Augen und blinzelte wie jemand, der gerade aus einem dunklen Kino ins helle Sonnenlicht hinausgegangen war.
    Â»Das ist Doktor Chung«, sagte Sami und deutete auf den Mann, der nicht viel größer als eins fünfzig zu sein schien.
    Doktor Chung verbeugte sich respektvoll vor ihnen beiden. »Kann ich mit Ihnen beiden sprechen?«
    Al stand auf und streckte sich. Sami rührte sich nicht.
    Doktor Chung schlug die Hände zusammen und schüttelte kaum merklich seinen Kopf. »Doktor Hastings und ich haben Miss O’Neill nun seit einigen Stunden untersucht, und wir haben eine Reihe von diagnostischen Tests durchgeführt.«
    Â»Ist sie zu sich gekommen?«, fragte Sami.
    Â»Ich befürchte, das ist höchst unwahrscheinlich«, meinte Doktor Chung. »Doktor Hastings und ich sind erstaunt, dass sie überhaupt noch am Leben ist.«
    Â»Wird sie es schaffen?«, fragte Al.
    Â»Nicht ohne eine komplizierte Herzoperation.«
    Â»Und wie ist Ihre Prognose?«, wollte Sami wissen.
    Â»Das ist eine sehr schwierige Frage, die wir erst während der Operation beantworten können. Wir glauben, dass sie an einer stressbedingten Kardiomyopathie leidet, auch Gebrochenes-Herz-Syndrom genannt. Es kommt selten vor, ist normalerweise nicht von Dauer und wird durch übermäßigen Stress verursacht. Und es spiegelt alle Symptome von Herzversagen. Unter normalen Umständen würden wir diesen Zustand mit Medikamenten behandeln und der Patient wäre meist nach ein oder zwei Wochen wieder gesund. Doch bei Miss O’Neill liegen mehrere Probleme vor – und alle sind ernst. Das Echokardiogramm und das Angiogramm haben eine Fehlfunktion der Mitral- und der Aortenklappe ergeben. Hier sind entweder eine Wiederherstellung oder ein Ersatz nötig. Doch das wäre nur eine vorübergehende Lösung. Offen gesagt braucht sie eine Herztransplantation. Und wie ich sagte, wir können diese Fragen erst endgültig beantworten, wenn wir den Eingriff vornehmen. Bis wir einen passenden Spender finden, könnten wir vorübergehend eine Herzpumpe einsetzen, auch unter der Bezeichnung links ­ventrikuläres Unterstützungssystem oder LVAD bekannt. Doch dieses Verfahren wird die Operation noch schwieriger machen.«
    Da Sami keine Ahnung hatte, wovon der Arzt genau sprach, und sie auch keine Lust auf eine ausführliche komplizierte medizinische Erklärung hatte, stellte sie die