Keine Gnade
Erklärung dafür geben. Es machte einfach keinen Sinn. Er rekonstruierte sorgfältig alles, was er an McKenzie durchgeführt hatte. Doch als ihn das nicht weiterbrachte, ging er zum Herzmonitor und befestigte die zehn Elektroden an seinem Körper. Handgelenke. Knöchel. Oberkörper. Er stellte den Monitor an und das EKG und legte sich aufs Bett. Es dauerte einige Sekunden, bis das Gerät die Signale von Julians Herz aufgriff und sie abbildete.
Zuerst schien alles normal: Herzfrequenz 81, EKG normal. Plötzlich schrillte der Alarm los, und als er auf den Monitor blickte, sah er schockiert, wie eine flache Linie über den Bildschirm kroch. Glaubte man dem Monitor und dem EKG , dann hatte er völligen Herzstillstand.
Und er begriff, dass er in seiner Panik, McKenzie wiederzubeleben, sich nicht die Zeit genommen hatte, ihren Puls zu fühlen oder ihr Herz abzuhören â was genauso wichtig war, wie bei einem Patienten den Blutdruck zu messen. In seiner verwirrten Verfassung hatte Julian die vernünftige medizinische Vorgehensweise ignoriert und sich nur auf den Herzmonitor verlassen, nicht im Traum daran denkend, dass er nicht funktionieren könnte. Das war das Vorgehen eines Idioten, nicht eines erfahrenen Kardiologen. Er hatte keine Ahnung, ob sie bewusstlos oder bei sich war, und wenn sie wach war, was sie der Polizei erzählt haben könnte. Er hatte jede Menge Kontakte im Krankenhaus und könnte sich diskret nach ihrem Zustand erkundigen. Es wäre wohl auch kaum ungewöhnlich, wenn ein Herzspezialist am Wohlergehen einer Herzpatientin interessiert wäre.
Julian nahm die zehn Elektroden ab und stellte den Herzmonitor aus. Er spürte, wie Wut ihn überfiel, das unkontrollierbare Bedürfnis zu schreien. Stattdessen versetzte er dem Herzmonitor einen Tritt wie ein ungeschickter Kampfkunstschüler und spürte dabei die Muskeln in seinem Unterleib. Sein Tritt warf den Monitor von seinem Stahlständer, und er beobachtete, wie er gegen die Wand schlug und auf den Boden krachte. Das EKG -Gerät, das noch am Monitor befestigt war, knallte mit auf den Boden. Seine Hände zitterten, und er war entrüstet über seine Fahrlässigkeit.
Beruhige dich. Behalte einen kühlen Kopf. Denke sorgfältig nach.
Er stellte sein Handy an und wollte sich im Krankenhaus melden, um etwas über den Zustand von McKenzie herauszufinden. Doch noch bevor er die Nummer wählen konnte, informierte ihn seine Voicemail mit Musik, einem Lied von Kenny G, dass mehrere Nachrichten auf ihn warteten. Er gab sein Passwort ein und wartete auf die erste Nachricht.
Julian, hier ist Ted Hastings. Wir haben einen Notfall im Krankenhaus und brauchen Sie hier so schnell wie möglich. Es führt zu weit, jetzt alles zu erklären, also rufen Sie mich bitte auf meinem Handy an, und ich werde Ihnen alles mitteilen. Danke.
Notfall? Es konnte nur einen Grund geben, warum Ted Hastings, ein Kollege von der Kardiologie, bei ihm anrief. Und der Grund hatte etwas mit McKenzie OâNeill zu tun.
Die folgenden drei Nachrichten waren auch von Doktor Hastings, jede ein bisschen panischer als die vorhergehende. In seiner letzten Nachricht gab Doktor Hastings Einzelhei ten über McKenzie und den Operationsplan durch, erwähnte dabei allerdings nicht, ob sie bei Bewusstsein war oder nicht.
Er hatte keine andere Wahl, als ins Krankenhaus zu gehen und sich selbst zu vergewissern.
42    Als Peter J. Spencer III . die Morgennachrichten sah und die nötigen Schlüsse zog, fragte er sich nicht länger, ob der geheimnisvolle John Smith und der Reanimator ein und derselbe waren. Er hatte sich bis dahin vorgemacht, dass alles nur ein seltsamer Zufall gewesen war, und wollte sich die Wahrheit nicht eingestehen. Sein Selbsterhaltungstrieb und sein Egoismus hatten ihn das nur allzu Offensichtliche ignorieren lassen, und so hatte er nicht bei der Hotline der Polizei angerufen. Jetzt fühlte er sich direkt verantwortlich für den Zustand, in dem McKenzie OâNeill sich befand. Seine zum Himmel schreiende Fahrlässigkeit und Feigheit hatten diese junge Frau in eine lebensbedrohliche Situation gebracht, die Spencer hätte verhindern können.
Da er keinen Appetit mehr hatte, stellte er seine Schüssel mit Haferflocken ab, griff nach der Fernbedienung und stellte den Fernseher aus. Er konnte jetzt nicht länger die Augen davor verschlieÃen, was er zu tun hatte,
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