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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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»kitzeln« war.
    Â»Genau da«, würde Rebecca sagen und hörte sich dabei fast außer Atem an.
    Â»Ein bisschen nach links«, würde Marianne anordnen. »Ja, ja, genau da! Fester! Schneller!«
    Manchmal wurde dabei fast seine Hand taub.
    Obwohl es ihn erregte – schließlich war er auf bestem Wege in die Pubertät –, mochte er dieses Kitzelspiel nicht wirklich und konnte nie so richtig herausfinden, warum sie stöhnten, anstatt zu lachen. In den ersten Wochen dachte er, er würde ihnen weh tun. Aber sie überzeugten ihn davon, dass man auf diese Weise seine Liebe zeigte. Kusinen machten das so. Hinterher würden sie ihm immer anbieten, ihn »da unten« zu berühren, doch selbst als heranwachsender Junge war ihm das zu peinlich.
    Â»Du darfst uns berühren«, würde Rebecca feststellen, »warum dürfen wir dich nicht berühren?«
    Â»Wir würden dafür sorgen, dass es dir richtig gut geht«, würde Marianne hinzufügen.
    Doch sie warnten ihn davor, anderen von ihrem geheimen Spiel zu erzählen. Wenn er das täte, würden sie nicht länger seine Kusinen sein.
    Als Julian seinem besten Freund George, der zwei Jahre älter war als Julian, von dem geheimen Kitzelspiel erzählt hatte, musste der so lachen, dass er sich fast in die Hosen machte.
    Â»Nimmst du mich auf den Arm?«, hatte George gefragt. »Sie lassen dich ihre Muschis anfassen? Hast du sie gefickt?«
    Julian stand ganz still da.
    Er hatte schließlich begriffen, dass dieses Kitzelspiel überhaupt kein Spiel war, und er hatte geschworen, sich eines Tages zu rächen. Nachdem er zwei Jahre auf diese Weise missbraucht worden war, blieb er für sich und verbrachte Stunden in seinem Zimmer damit, Bücher über die menschliche Anatomie zu lesen, über das Leben nach dem Tod und Biografien über berühmte Ärzte, und hatte keine Ahnung, dass das »Spiel« alles andere als vorbei war.
    Diese Erinnerungen quälten Julian, und er musste sie ­loswerden. Julians Frau und die zwei Kinder kamen jeden ­Augenblick von ihrem Freitagabendeinkauf zurück, und wieder wäre er gezwungen, seine inneren Kämpfe zu unterdrücken und die Rolle des liebenden Ehemannes und Vaters zu spielen. Sein Leben war eine Mischung aus Verantwortungen und Kleinkram, seine Wochen mit endlosen Meetings, intensiver Forschung, landesweiten Telefonkonfe­renzen und Notoperationen vollgestopft. Doch unter den gegebenen Umständen hatte er nun das Gefühl, ein Doppelleben zu führen. Auf der einen Seite war er ein begnadeter Kardiologe und angesehener Forscher. Doch auf der anderen Seite war er etwas, das sich einer Definition entzog.
    Die Medien würden seine Arbeit zweifelsohne als die ­Taten eines Irren bezeichnen. Die Polizei würde ihn als einen gestörten Serienkiller jagen. Doch in Wirklichkeit war er ein Pionier, ein Mann, der alles aufs Spiel setzte – seine Familie, seine Karriere und sogar sein Leben –, für die Anerkennung, die ihm zustand. Erfolg stellte alles andere in den Schatten.
    Ab morgen würden die Götter ihn mit einem freien Wochenende beglücken, an dem er mit seiner Forschung fortfahren könnte. Seine Frau fuhr mit den Kindern nach Los Angeles und kam erst am Sonntagabend zurück. Das verschaffte ihm genügend Zeit für die Suche nach seinem nächsten Subjekt.

    Nach seinem Treffen mit den Fosters schwirrte Al der Kopf. Er war sich nicht sicher, ob er dem Richter zu nahe getreten war, doch wenn es so war, würde Chief Larson ihm gehörig den Marsch blasen. Allerdings war Al das im Augenblick ziemlich egal. Er musste seinen Job machen, und wenn er dafür auf politische Korrektheit verzichten musste, dann war es eben so! Wenn er genauer darüber nachdachte, dann war ihm politische Korrektheit eigentlich verhasst. Es schien Al, dass die Gesellschaft im Zusammenhang mit allem, was von Religion bis Ethnien reichte, so übersensibel geworden war, dass man aus Angst, jemanden zu verletzen, förmlich wie auf Eiern laufen musste, wann immer man den Mund auftat.
    Vor ein paar Jahren noch war man ein Penner, wenn man auf der Straße lebte. So einfach war das. Dann entschieden ein paar Gutmenschen, dass man Penner besser als Obdachlose bezeichnen sollte. Seit kurzem lautete der politisch korrekte Begriff »finanziell Benachteiligte«. Er schüttelte den Kopf und lachte laut auf. Wenn

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