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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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rauszukommen. »Ist sofort schnell genug?«

13    »Es tut mir leid, dass ich erst so spät Bescheid sage, Nicole«, sagte Julian. »Aber Doktor Hastings hat in letzter Minute die Grippe bekommen, und ich muss ihn vertreten.« Seit kurzem fand Julian es unglaublich einfach, seine Frau zu belügen, doch er hatte einfach seine Prioritäten. Er konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie nicht gerade begeistert war.
    Â»Wer zum Teufel ist Doktor Hastings?«
    Â»Er hat erst vor ein paar Monaten am Krankenhaus angefangen. Er kommt vom Chicago General. Richtig scharfer Typ.«
    Â»Und warum gerade du? Kann nicht jemand anders nach L. A. fahren?«
    Â»Nur Ted Hastings und ich haben die Qualifikation, Vorträge über das neue Verfahren zu halten.« Er legte seine Arme um sie und hielt sie eine Weile fest, strich über ihren Rücken und küsste sie auf die Wange.
    Â»Es ist nicht fair«, flüsterte Nicole.
    Â»Du magst doch deinen neuen Range Rover, und es gefällt dir, nur zwei Blocks vom Meer entfernt zu wohnen, oder?«
    Â»Ist das eine rhetorische Frage?«
    Â»Ich versuche nur darauf hinzuweisen, dass wir einen Preis für unseren gehobenen Lebensstil zahlen müssen. Es ist kein Job, der von neun bis fünf zu erledigen ist, Nicole. Manchmal muss ich eben auch die Stadt verlassen. Es sind doch nur zwei Nächte. Ich werde Mittwoch wieder zurück sein.«
    Â»Ich würde es lieber sehen, wenn du den Zug nimmst, anstatt zu fahren«, schlug Nicole vor.
    Â»Und ich würde am liebsten den Flieger nehmen, aber das Krankenhausbudget ist ziemlich eingeschränkt. Und ich habe nichts dagegen zu fahren. Es sind nur zwei Stunden.«
    Â»Zwei Stunden, wenn die Autobahn frei ist. Um L. A. herum ist der Verkehr ziemlich verrückt.«
    Â»Ich werde das schon schaffen.«
    Â»Ich bin ziemlich sauer, Julian.«
    Julian befürchtete, dass die Diskussion eskalieren könnte. Wäre nicht das erste Mal, dachte er. Aber bevor Nicole ihre Krallen schärfen konnte, erlösten ihn seine Töchter Isabel und Lorena, die mit roten Wangen und außer Atem von draußen hereinkamen. Jede klammerte sich an eines seiner Beine und hielt ihn fest.
    Â»Wir haben Himmel und Hölle gespielt, Daddy«, sagte Isabel. Sie war erst fünf Jahre alt, las aber schon Bücher für doppelt so alte Kinder. »Und rat mal, wer gewonnen hat?«
    Â»Ich wette mal, deine Schwester.« Er zeigte auf Lorena, die drei Jahre älter war als Isabel, aber nicht mit der Intel­ligenz und der Lebendigkeit ihrer Schwester gesegnet war.
    Â»Ich habe gewonnen, Daddy!«, rief Lorena.
    Als Lorena einen Augenblick in die andere Richtung schaute, legte Isabel beide Hände um ihren Mund und sprach so leise, wie sie konnte: »Ich habe sie gewinnen lassen, Daddy.«
    Julian war nicht überrascht darüber, dass die jüngere seiner beiden Töchter schon in dem Alter so liebenswürdig und großzügig sein konnte. Während eines Elterntreffens hatte die Lehrerin, Mrs Taylor, Isabel als »gutmütige Seele« bezeichnet.
    Julian ging in die Hocke und drückte seine Mädchen. Es gab nichts auf der Welt, was ihm mehr am Herzen lag als Isabel und Lorena. Der Höhepunkt seines Tages war es, auf ihren Betten zu sitzen und ihnen eine Gutenachtgeschichte vorzulesen. Schon kurz nach Lorenas Geburt war es offensichtlich, dass sie ein behindertes Kind war. Die Ärzte nannten Julian aber nie eine eindeutige Diagnose. Sie konnten ihm nur sagen, dass Lorena aus irgendeinem Grund alles nur langsam lernen und nie besonders lebhaft sein würde. Ihre ersten Schritte machte sie erst mit achtzehn Monaten, und den ersten zusammenhängenden Satz sprach sie im Alter von vier Jahren. Nicole, die wegen Lorenas Behinderung völlig am Boden zerstört war und sich verantwortlich dafür fühlte, wollte unter keinen Umständen noch ein Baby. Aber Julian flehte und bettelte sie an, bis Nicole nachgab. Es war hart für Julian zuzugeben, doch hätte er sich nicht so verzweifelt Kinder gewünscht, hätte er vielleicht niemals geheiratet.
    Â»Wer will Eiscreme holen gehen?«, fragte Julian.
    Â»Ich will! Ich will!«, schrien beide.
    Nicole blickte ihn finster an, und Julian wusste schon, was kommen würde.
    Â»Unsere Unterhaltung ist noch nicht zu Ende«, meinte sie.
    Bei solchen Anlässen wünschte er sich immer, alleinerziehender

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