Keine Gnade
Vater zu sein.
Doktor Templeton entlieà Josephine einen Tag früher, als Sami erwartet hatte. »Sie macht sich sehr gut«, hatte er Sami erzählt.
Da Sami sich bewusst war, dass Simon die Todesspritze in weniger als einer Woche bekommen würde, hatte sie keine andere Wahl, als sich ihren schon lange bestehenden ProÂblemen mit ihm zu stellen, obwohl sie ein ziemlich schlechtes Gewissen hatte, ihre Mutter schon wenige Tage nach der Operation allein zu lassen. Und sie musste es schnell hinter sich bringen, da keine Zeit mehr blieb für Ãberlegungen. Trotz ihrer Fähigkeit, die Wahrheit über manches zu verdrängen, wurde ihr nun klar, dass keine Therapie oder BeÂratung ihr jemals helfen würde, das Ganze abschlieÃend zu verarbeiten. Sie musste ihm direkt in die Augen sehen und die Fragen stellen, die sie jede Nacht verfolgten.
Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen.
Doch Doktor Janowitz hatte klargemacht, dass Sami nie mit ihrem Martyrium abschlieÃen könnte, wenn sie Simon nicht von Angesicht zu Angesicht damit konfrontierte. Und Sami war auch davon überzeugt, dass sie ein für alle Mal Frieden finden musste, wenn sie ein erfülltes Leben führen wollte. Doch die Vorstellung, ihn tatsächlich zu treffen, über stieg alles, was Sami sich ausmalen konnte. Woher sollte sie den Mut und die Stärke für einen so beängstigenden Kraftakt nehmen? Wie würde sie reagieren, wenn sie nur wenige Zentimeter von ihm entfernt saÃ, in seine stahlblauen Augen blickte und ihre Gedanken zu ihrer lebensverändernden Erfahrung zurückblendeten?
Sie hatte die letzten beiden Jahre versucht, ihrem Leben einen Sinn zu geben, hatte verzweifelt versucht, es wieder auf die Reihe zu bekommen, sich wieder als ganze Frau zu fühlen. Ja, sie und Al waren nun ein Paar, und ihre Beziehung war im GroÃen und Ganzen stabil. Oder etwa nicht? Sein Verhalten hatte ihr in letzter Zeit Kopfzerbrechen bereitet. Aber darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken. Sie musste sich auf Simon konzentrieren. Ihr Ãberleben hing davon ab. Tief in ihrem Innersten fürchtete Sami, dass Simon, obwohl er in einer Zelle lebte und auf seine Hinrichtung wartete, paradoxerweise und so erbärmlich es auch war, gewonnen hatte. Sie war diejenige, die gefangen gehalten wurde. Ihr war in zwei qualvollen Jahren schmerzlich bewusst geworden, dass der Tod nicht immer die schlimmste Strafe war. Manchmal war das Leben die reinste Hölle, wenn man den Kopf mit Ballast voll hatte. Der einzige Trost, die einzige Hoffnung, an die sie sich klammerte, war ihr Vertrauen in Doktor J und in sich selbst.
Sami hatte ein gutes Gefühl dabei, ihre Mutter mit Emily zurückzulassen. Tatsächlich war Emily besser als jeder andere geeignet, für ihre Mutter zu sorgen. Sollte trotzdem irgendetwas in Samis Abwesenheit passieren, würde sie sich das niemals verzeihen. Doktor Templeton hatte zu Sami gesagt, dass niemand vorhersagen könne, ob ein Bypasspatient jemals wieder einen Herzinfarkt bekommen könne. Doch er versicherte ihr, dass die Prognose für ihre Mutter günstig war. Und solange sie bereit war, ihre Lebensweise zu ändern, könnte sie ein reifes Alter erreichen.
Es war für Sami nicht einfach gewesen, die Erlaubnis des Gefängnisleiters für einen Besuch bei Simon zu bekommen, besonders da sie kein Detective mehr war. Aber da sie nicht nur gute Beziehungen zur Polizeibehörde hatte, sondern auch zum Strafvollzug, konnte Sami den Gefängnisleiter mit Hilfe des Lt. Governor von Sacramento davon überzeugen, dass sie â mehr als jeder andere auf der Welt â das Anrecht hatte, Simon zu besuchen, bevor der Staat Kalifornien ihn hinrichtete.
Von einer Sache war Sami allerdings überzeugt: Wenn sie ihr Leben nach der Aussprache mit Simon nicht wieder in den Griff bekam, würde er für immer die Kontrolle über sie haben, egal ob er tot oder lebendig war.
Julian, der eine Basecap der Chargers trug, traf den Mann in einem abgelegenen Coffeeshop in einer ruhigen Einkaufsmall in La Mesa. Er kam sich ein bisschen auffällig vor und blickte sich um, ob er irgendwo ein bekanntes Gesicht sah. Doch als er sich davon überzeugt hatte, dass er weder verfolgt noch seine Aktivitäten beachtet wurden, holte Julian ein Bündel Geldscheine heraus und zog einen Hundert-Dollar-Schein ab. »Das ist für Sie.« Er händigte dem Mann das Geld und ein
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