Keine Gnade
sprechen konnte, unternahm einen letzten Versuch, ihren Verlobten zu retten. »Lassen Sie ihn gehen. Bitte! Was ist mit Ihrem Deal?«
»Wir haben keinen Deal gemacht, kannst du dich erinnern?«
»Es wird sich lohnen. Das verspreche ich Ihnen.«
17    Julian, der OP -Kleidung trug, hatte ein Skalpell in der Hand und bereitete sich mental auf die vor ihm liegende Prozedur vor. Er hatte Klebeband über Rotschopfs Mund gezogen und den Stuhl vom Bett weggedreht. Warum sollte er sie quälen, indem er sie bei der Operation ihres Verlobten zusehen lie� Er hatte sie auf dem Wohnzimmerboden schon genügend gequält. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass ihm irgendeine mehr gefallen könnte als Eva. Doch der hochgewachsene Rotschopf war ihr sehr nahegekommen. Die Todesnähe hatte offensichtlich das Tier in ihr geweckt. Er hatte erfahren, dass ihr Name Rachael war; Familie und Freunde nannten sie Rae. Wie dumm es doch von ihr gewesen war zu glauben, dass er sie und Biermann einfach so laufen lassen würde, nachdem er sich mit ihr vergnügt hatte. Aber wieso war es für ihn so ein Genuss, sich Frauen aufzuzwingen?
Er hatte überlegt, ein Kondom zu benutzen, doch nur für einen Moment. Er hatte mit Eva die Erfahrung gemacht, dass nichts angenehmer war als Haut auf Haut. AuÃerdem würde es der Polizei nichts bringen, wenn sie Sperma von ihm finden würden. Er war ein vorbildlicher Bürger, hatte in seinem Leben noch nicht einmal einen Strafzettel bekommen. Hinsichtlich seiner DNA existierte Julian nicht, war er nirgends registriert.
Da er nicht wusste, ob Biermanns Stimmbänder irgendwelche Geräusche von sich geben konnten, riss Julian Toilettenpapier ab und stopfte es in Rotschopfs Ohren. Sollte Biermann schreien können, würden die provisorischen Ohrstöpsel die heftigen Schreie nicht unterdrücken können, doch es war besser als nichts. Wenigstens war er nicht gefühllos.
»Versuch, deine Zehen zu bewegen«, forderte Julian Biermann auf.
Nichts.
»Beweg deine Finger.«
Auch nichts.
Julian blickte erst auf den Infusionsbeutel, um sicherÂzugehen, dass der Durchfluss richtig dosiert war. Dann konÂtrollierte er den Herzmonitor. Von einem schnellen Herzschlag einmal abgesehen, den Julian erwartet hatte, sah Biermanns EKG normal aus. Er drückte das Skalpell gegen Biermanns Oberkörper und sah in seine weit offenen Augen. Biermann starrte an die Decke, die Pupillen vollständig erweitert. Kein Zwinkern und keine Augenbewegung. Nur Tränen strömten ohne Unterlass aus den Augenwinkeln.
Er setzte einen tiefen Schnitt in Biermanns Brustbein, vom Manubrium direkt unter dem Hals bis zum Processus Xiphoideus fünf Zentimeter über seinem Magen.
Julian hörte aus der Kehle von Biermann ein merkwürdig gurgelndes Geräusch kommen, offensichtlich eine Reaktion auf den Schmerz. Der Kopf und das Gesicht des jungen Mannes troffen vor SchweiÃ. Julian kontrollierte wieder den Herzmonitor: 150 Schläge pro Minute. Da er diese Reaktion erwartet hatte, nahm er eine Spritze, die er schon vorbereitet hatte, und injizierte Biermann eine kräftige Dosis PropaÂnolol.
Julian sah auf den Monitor.
139. 122. 109.
In weniger als fünf Minuten fiel Biermanns Herzschlag auf eine Frequenz von 87 Schlägen pro Minute, ein Wert, der es Julian ermöglichte fortzufahren.
Er griff nach der chirurgischen Säge. Den Schmerz, den Biermann erleiden würde, wenn er ihm durch das Brustbein sägte und seine Rippen aufklappte, würde den ursprünglichen Schnitt wie eine bloÃe Papierschnittwunde erscheinen lassen. Julian zog das Plastikvisier herunter, um sein Gesicht vor herumspritzendem Blut zu schützen, und begann zu Âsä gen. Der ohrenbetäubende Lärm aus Biermanns Kehle über dröhnte das Geräusch der Kreissäge, die seine Brust aufschlitzte.
»Hier ist Chief Larson.«
Sami war gerade aus der Dusche gekommen und wollte ihre Haare föhnen. Da sie für ihren Unterricht um neun Uhr spät dran war, hatte sie darüber nachgedacht, das Seminar sausen zu lassen. Seit sie zur Uni ging, hatte sie nicht eine Stunde versäumt, doch wenn sie jemals eine Pause gebraucht hatte, dann war es heute. »Guten Morgen, Chief Larson.«
»Ich habe mit Bürgermeisterin Sullivan gesprochen.«
Wegen seines förmlichen Tons befürchtete sie, dass seine Mitteilung nicht
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