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Keine Gnade

Keine Gnade

Titel: Keine Gnade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Annechino
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seinen Töchtern zum Abschied zuwinkte, hatte er nicht die sonst übliche Leere verspürt.
    Doch trotz der vollkommenen Ruhe im Haus und der betäubenden Wirkung des Scotch war Julian emotional aufgewühlt. Es war so einfach gewesen, Nicole mit der vermeintlichen Konferenz in L. A. zu belügen. Und dann hatte er die Lüge auch noch erweitert, indem er sich eine Geschichte über Big Bear ausgedacht hatte. Er fühlte sich deswegen nicht schuldig. Dabei hatte er so etwas zum ersten Mal gemacht. Irgendetwas Seltsames geschah. Es war, als ob er eine sonderbare Metamorphose durchmachte. Ein echter Dr. Jekyll and Mr Hyde. War er in Bezug auf seine Forschung so fanatisch geworden, dass sie quasi Besitz von ihm ergriffen und sein Wertesystem verschoben hatte? War sein Verlangen nach Berühmtheit und Anerkennung so überwältigend, dass er bereit war, alles aufs Spiel zu setzen?
    Aber es war nicht nur seine Besessenheit mit dem Forschungsprojekt, das ihn im Griff hatte, noch seine wachsende Apathie seiner Familie gegenüber. Es gab noch ein anderes Thema, das ihm schwer auf der Seele lag. Woher kam diese plötzliche Fixierung auf Sex? Bei Genevieve hatte er es geschafft, der Versuchung zu widerstehen. Welche ehrbaren Werte seinem Charakter zu der Zeit noch geblieben sein mochten, er hatte es jedenfalls geschafft, seine niederen Instinkte zu überwinden. Mit Rachael war es dagegen eine ganz andere Geschichte gewesen. Er war nicht mehr der Mann gewesen, der Genevieve verschont hatte. Und er hatte sich Rachael nicht nur ohne Bedauern oder das leiseste Mitleid genommen, er hatte ihr auch noch eingeredet, sie laufen zu lassen.
    Er nahm den letzten Schluck von seinem Scotch und goss sich nach. Dieses Mal fast randvoll.
    Seine erste Vermutung war, dass seine Beschäftigung mit Sex an seiner lustlosen körperlichen Beziehung mit Nicole lag. Seit Jahren hatte er vergeblich versucht, seinen Frust zu verdrängen. Er liebte sie. Wenigstens dachte er, dass es Liebe war. Doch sie war keine Nymphe. Mit ihr konnte er niemals seine tiefsten und dunkelsten Sexfantasien ausleben. Sie könnte niemals Eva sein. Oder Rachael. Nicole, die konservativ war und verklemmt, würde niemals experimentieren wollen oder etwas auch nur annähernd Unkonventionelles in Betracht ziehen. Er fürchtete fast die seltenen Gelegenheiten, wenn sie in Stimmung war. Jedes Mal, wenn sie miteinander schliefen, kam er sich wie ein Zirkustier vor, das jeder ihrer Launen zu gehorchen hatte. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass er sich je einer Frau aufzwingen würde, sich nicht träumen lassen, wie herrlich das sein könnte. Doch wie sehr hatte er es genossen, Rachael zu vergewaltigen. Er bedauerte nur, dass er nie die Möglichkeit hatte, seine Kusinen so brutal zu nehmen. Aber er dachte jedes Mal an sie, wenn er mit einer Frau schlief.
    Es war ihm allerdings unklar, warum er bei Biermann kein Mitleid empfunden hatte. Es war ihm vorgekommen, als hätte er eher eine Leiche als ein menschliches Wesen operiert. Die durchgeführten Experimente waren unvorstellbar grausam gewesen; Julian wusste das, trotzdem war bei ihm kein Mitleid für Biermanns Leiden aufgekommen. Zugegeben, Biermann hatte ihn gedemütigt. Aber gab es ihm das Recht, ihn so sadistisch zu behandeln?
    An einem Punkt während der Experimente hatte er Biermann nicht ausreichend mit Anästhetikum versorgt, um die Muskeln zu lähmen. Genau mitten im Experiment, Biermanns Brustkorb war weit gespreizt, sein Herz lag offen vor ihm, wollte Julian eine Ablation an der hinteren linken Vorhofwand durchführen, als Biermanns Körper anfing zu krampfen und er so laut schrie, dass das Klebeband vom Mund riss und Julian befürchtete, dass er bis nach draußen zu hören sein würde. Glücklicherweise hatte er eine Spritze mit Anästhetikum zur Hand. Doch dann passierte etwas Seltsames. Anstatt Biermann das hochwirksame Mittel zu injizieren, um ihn bewusstlos werden zu lassen und seine Pein zu lindern, zögerte Julian, als ob er Freude an Biermanns Qual hätte. Er konnte sich daran erinnern, auf die Zange auf dem Rollschränkchen geblickt und dabei Erregung empfunden zu haben. Hatte er jede Vernunft und Menschlichkeit verloren?
    Er trank seinen zweiten Scotch aus, und seine Gedanken schweiften zu einem weiteren beunruhigenden Thema. Jetzt konnte er ungestört seine Eigenständigkeit genießen und mit seinen chirurgischen

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