Keine Gnade
recht. Er war auÃer Kontrolle. Und er musste Nicole schützen. SchlieÃlich hatte sie seine beiden wunderschönen Töchter auf die Welt gebracht. War er ihr da nicht etwas schuldig? »Würdest du dich besser fühlen, wenn wir uns für eine Weile trennen?«
Sie blickte ihn an. »Ernsthaft?«
»Vielleicht wäre es das Beste.«
Sie stand für eine Minute still da und betrachtete ihre Fingernägel. »Wo würdest du wohnen?«
Sie wusste nichts von seinem Loft. »Es gibt eine Menge Hotels, wo man länger unterkommen kann.«
»Und was ist mit den Mädchen?«
»Sie könnten ein paar Nächte die Woche bei mir sein, und ich würde sie an den Wochenenden nehmen. Sie müssen nicht wissen, dass wir uns getrennt haben.«
Nicole berührte ihre Schultern und stöhnte leise. »Ich finde, du solltest heute schon gehen.«
Julian hätte sich nicht träumen lassen, zu solch drastischen MaÃnahmen greifen zu müssen. Doch zu diesem speziellen Zeitpunkt war er sowohl von Besorgnis als auch von gespannter Erwartung überwältigt. Von Nicole getrennt zu sein, damit konnte er leben. Es gab ihm die Freiheit, aggressiv auf die Suche nach Probanden für seine Forschung zu gehen. Doch der Gedanke, seine Töchter nicht jeden Tag sehen zu können, nagte an ihm. Dennoch musste er sich auf seine Aufgabe konzentrieren.
Das Wohl der Allgemeinheit ist wichtiger als das Wohl des Einzelnen.
Es war nun schon länger als eine Woche her, seit Al von Ricardo, dem Freund seiner Schwester, nach Rio gerufen worden war. Einmal abgesehen von den wenigen Nächten, die er aus purer Erschöpfung in einem Hotel verbracht hatte, und den kurzen Pausen, in denen er frische Luft schnappte oder sich in der Cafeteria mit etwas Essbarem versorgte, war er nicht von Aletas Seite gewichen. Er verbrachte Stunden damit, mit ihr zu sprechen, ihre Hand zu halten, ihren Arm sanft zu streicheln, aber mit jedem Tag, der verging und sie im Koma blieb, verlor er mehr und mehr die Hoffnung.
Ihm war sogar das Gefühl für die Zeit abhandengekommen. Ein Tag ging in den anderen über. Er war sich nicht sicher, ob heute Mittwoch oder Sonntag war. Was für einen Unterschied machte es auch? Er sprach jeden Tag mit Sami, und wenn es nur darum ging, ihre Stimme zu hören. Bis jetzt hatte er nichts Neues zu berichten gehabt. Doch er war tief besorgt, was Samis Wohl anging. Ihm war klar, dass der Captain, Chief Larson und die Bürgermeisterin wenig Geduld mit der Ermittlung haben würden. Sie wollten nichts von Sackgassen hören, fehlenden Beweisen oder lückenÂhaften Einzelheiten. Sie wollten Ergebnisse sehen. Keine Entschuldigungen hören. Trotz seines Vertrauens in Samis Fähigkeiten als Detective wurde Al das Gefühl nicht los, dass Sami dieser Situation nicht gewachsen sein könnte. Wenn sie den Serienkiller nicht bald festnahm, wäre ihre Zukunft als Mordermittlerin ernsthaft gefährdet. Doch so sehr Al Sami auch unterstützen und für sie da sein wollte, gerade jetzt musste er sich um Aleta kümmern.
Er hatte immer geglaubt, der Kaffee aus Südamerika sei der beste der Welt, doch die Cafeteria widerlegte diese ÂTheorie überzeugend. Noch nie zuvor war ihm so ein bitteres Zeug untergekommen, und er trank es nur, um seinem Gehirn Starthilfe zu geben.
Al ging ins Zimmer seiner Schwester und trank den letzten Rest seines Kaffees aus, wobei sich sein Gesicht verzog, als ob er verbrannten Sirup im Mund hätte. Er blickte auf den Herzmonitor. Aletas Blutdruck war ein bisschen nied rig, aber ihre lebenswichtigen Organe waren stabil. Er küsste sie auf die Wange und nahm dann wie immer seinen Platz auf dem unbequemen Metallstuhl neben ihrem Bett ein. Genau in dem Augenblick betrat Schwester Sofia das Zimmer.
»Hallo, Mr Diaz.«
Er hatte der Oberschwester schon öfter gesagt, dass sie ihn Al nennen sollte, doch sie redete ihn auch weiterhin förmlich an. Er nahm an, dass dies zur brasilianischen Kultur gehörte.
»Sie sind schon wieder da?«, fragte Al. Sofia war heute schon zwei Mal bei Aleta gewesen, um nach ihr zu sehen, was Al beunruhigte. »Hat sich irgendetwas verändert?«
»Ihre Schwester ist stabil.«
Als die Krankenschwester Aletas Infusionsbeutel überprüfte und sich noch um andere Dinge kümmerte, fiel Al auf, dass sie ein wenig zittrig war. »Geht es Ihnen auch gut, Sofia?«
Sie fuhr mit
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