Keine große Affäre
sie unverbindlich.
»Ich bin erst seit einer Woche wieder da.«
Sie hatte sich geschworen, nicht über
die Arbeit zu sprechen oder über Guy. Doch jetzt fragte sie sich, wie sie die
nächste Stunde rumkriegen sollte, denn in ihrem Leben gab es absolut nichts
anderes, abgesehen von gelegentlichen Besuchen von Freunden. Sie war monatelang
nicht im Theater oder im Kino gewesen und hatte sich nicht einmal ein Video
ausgeliehen. Sie hatte weder die Energie noch die Konzentration aufbringen
können, ein Buch, eine Zeitschrift oder eine Zeitung zu lesen. Es reichte
gerade noch für das Fernsehprogramm, aber es passierte ihr oft, daß sie,
nachdem sie Guy gebadet und ins Bett gebracht hatte, vor dem Fernseher
einschlief. Wenn sie wieder aufwachte, sah sie ein paar unbedeutende Politiker
streiten und war sich nicht einmal sicher, ob sie die Nachrichten wirklich
gesehen oder nur geträumt hatte. Inzwischen bezeichnete sie ein Wochenende als
gelungen, wenn sie es schaffte, die ganze Wäsche zu erledigen und sie bis Sonntagabend
trocken zu kriegen. Ihr gefiel ihr neues Leben, aber Gott, für alle anderen
mußte es sterbenslangweilig sein, davon zu hören. Reichlich spät ging ihr auf,
warum die einzigen richtigen Freundinnen, die sie jetzt hatte, Alison und Lia
waren. Sie waren in einer ähnlichen Situation wie sie.
Sie lugte unter ihren Augenbrauen
hervor und sah Charlie gespannt darauf warten, daß sie weitersprach. Sie zuckte
mit den Schultern.
»Brauchbarer Job?«
»Na ja, ich kann die Rechnungen
bezahlen«, antwortete Ginger.
»Warum arbeitest du nicht einfach für
mich?« fragte Charlie fast wehleidig, als wäre das ein Thema, worüber sie schon
seit Ewigkeiten sprachen.
»Du hast mich noch nie gefragt«,
antwortete Ginger vorsichtig, die irgendwo einen Haken vermutete.
»Das hab ich ganz sicher«, sagte er
forsch-fröhlich und spießte mit der Gabel ein leuchtend weinrotes Stück
Bresaola auf. »Jedenfalls wollte ich es, aber ich hatte das seltsame Gefühl,
daß du mir ausweichst.«
»Echt?«
Sie wünschte, sie hätte sich keine
Austern bestellt. Es würde unmöglich sein, beim Essen auch nur ein kleines
bißchen Würde zu behalten. Um Zeit zu gewinnen, drückte sie das Stück Zitrone
über ihnen aus. Ein Spritzer verirrte sich in ihren Augenwinkel. Mit der
schweren Baumwollserviette wischte sie sich das tränende Auge und versuchte
sich zu erinnern, ob sie Mascara trug.
»Darf ich eine probieren?« fragte
Charlie, als würde er ihre Verzweiflung spüren. Seine Hand schwebte über dem
halben Dutzend zerklüfteter Schalen.
»Nimm nur«, sagte sie. Sie nahm sich
ebenfalls eine und kippte sie zur selben Zeit herunter wie er.
Das war eine süße Geste gewesen, fast
als hätte er ihre Hand gehalten, um ihr über eine tückische Stufe zu helfen.
Sie lächelte dankbar und spürte, daß sie wieder ein wenig Selbstvertrauen
bekam.
»Warum soll ich unbedingt für dich
arbeiten?« fragte sie und versuchte das Gespräch wiederaufzunehmen. »Und in was
für einer Position?«
Die nächste Auster rutschte problemlos
herunter.
Es war seltsam, dachte sie, daß
mehrsilbige Worte oft unbeabsichtigt sexuell klangen.
»In was für einer Position ?«
wiederholte Charlie, dem die Zweideutigkeit nicht entgangen war.
»Ist es nicht komisch, daß den
Engländern lange Worte so peinlich sind?« fragte Ginger und führte ihren
Gedanken aus. »Wenn sich in einer Sitcom eine Frau um einen Job bewirbt, und
der Chef sagt: »Flaben Sie irgendwelche Referenzen ?«, kommt ein
Lacher... Warum bloß?«
»Vielleicht, weil wir alle Angst
haben, Sprache falsch zu gebrauchen. Sie wird zu einer Art Tabu, und irgendwie
schleichen sich sexuelle Untertöne ein.«
»Hmm«, sagte Ginger, die auf einmal
keine Lust mehr hatte, das Thema weiterzuverfolgen. »Na ja, um es anders zu
formulieren — was macht mich so begehrenswert? Gott, das klingt ja noch
schlimmer!«
»Hör zu, Ginger«, sagte Charlie,
dessen Gesicht plötzlich ernst war. »Das ist wirklich kein raffinierter
Versuch, dich aufzureißen. Wir hatten einmal Sex. Ich fand es toll. Du
hoffentlich auch.« Er ließ ihr nicht einmal Zeit zu nicken. »Aber ich bin nicht
an deinem Körper interessiert, sondern daran, was in deinem Kopf ist. Du hast
großartige Ideen, und jemand, der sich so gut gegen eine professionelle
Tory-Zicke behaupten kann wie du, sollte auf keinen Fall in einem Scheißjob in
White City versauern...«
»Ach, das war bloß, weil ich ’ne große
Klappe habe«, unterbrach
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