Keine große Affäre
klatschen hörte, und
eine frische Brise den monotonen Kommentar des Kapitäns zu ihr herüberwehte. Es
hatte keinen Zweck, es damit entschuldigen zu wollen. Seit der Geburt des Babys
war es mit Stephen im Bett gut gelaufen. Sie hatte eine Affäre, weil sie Neil
liebte. Sie hatte Neil immer geliebt. Und er liebte sie. Als er wochenlang
nicht angerufen hatte, war sie fast froh gewesen, daß er mutig genug war, den
Schlußstrich zu ziehen. Aber nun hatte er wieder angerufen, sie sehen wollen,
und sie hatte eingewilligt. Und jetzt wußte sie nicht, was sie tun sollte.
Sie öffnete die Papiertüte und zog
zwischen Zeigefinger und Daumen ein abgebröckeltes Stückchen Croissant heraus.
Sie schmeckten nie so wunderbar, wie sie rochen. Mit einem Plopp öffnete sie
den Deckel der Tasse und nippte zögernd am Cappuccino. Sie fragte sich, wie es
kam, daß der schokoladengesprenkelte Schaum stets kalt war, während die
Flüssigkeit darunter immer brühheiß blieb.
Das Geräusch des ans Ufer klatschenden
Wassers erinnerte sie an den Nachmittag, an dem sie mit Lia in Richmond am
selben Fluß gesessen und Limonade getrunken hatte. Sie war sich sicher, daß es
ein altes griechisches Sprichwort gab, das besagte, man würde nie zweimal am
selben Fluß sitzen, und dieser Nachmittag schien so lang her zu sein, daß es
fast schien wie in einem anderen Leben. Ein Leben, in dem die Dinge
unkompliziert waren. Nach dem, was Ginger an diesem Morgen gesagt hatte, schien
wenigstens Lia glücklich zu sein. Die Affäre schadete ihr also nicht. Hör auf
damit, sagte Alison sich. Hör endlich auf.
Sie sah auf die Uhr. In fünf Minuten
würde sie wieder ins Büro gehen müssen, zurück in den Lärm. Nie hatte man Zeit,
nie einen ruhigen Moment für sich selbst. Wenn ihr Gehirn doch nur einmal zur
Ruhe kommen könnte, dann würde es vielleicht die Reinheit der Gedanken, die
einfachen Wahrheiten wiedererlangen, die sie in der Stille des karibischen
Meeres verspürt hatte. Und wenn ihr das gelang, würde sie wissen, was sie tun
mußte.
»Ich schreibe den Artikel für dich«,
sagte sie zu Ramona, als sie zurück ins Büro kam. »Aber ich fahre allein. Ich
muß ein bißchen Zeit für mich haben.«
»Gut«, sagte Ramona. »Großartig. Du
hast recht. Männer stören nur beim Shopping.«
»Hast du einen Abstellplatz für dein
Fahrrad gefunden?« fragte Charlie und begrüßte Ginger am Fuße der Treppe mit
einem Kuß auf beide Wangen.
Das Filmtheater, in dem die Vorführung
stattfinden sollte, war in einer Straße, die von Soho zur Oxford Street führte,
in einem Keller. Ginger war überrascht, wie schäbig der Eingang aussah. Sie
hatte mehrere Sekunden davor gestanden und sich gefragt, ob das wirklich die
richtige Adresse sein konnte, oder ob die Einladung doch nur ein ausgeklügelter
Scherz gewesen war.
Als Charlie endlich anrief, nicht am
nächsten Tag, wie Pic vorhergesagt hatte, nicht einmal am Tag danach, hatte
Ginger längst ihre Strategie aufgegeben, eine Kunstpause einzulegen, bevor sie
sich meldete, weil sie bemerkte, daß sie von all dem Räuspern eine leichte
Kehlkopfentzündung bekam. Ihre Chefin hatte sie gerade gebeten, für drei
Personen Kaffee zu kochen, und sie hatte die Hände voller Tassen, deshalb war
sie nicht gerade in der besten Stimmung, hatte einfach nur den Hörer gegriffen
und »Ja?« gebrüllt.
»Ähm, Ginger?« hatte Charlie gefragt.
»Ja?« Sie war immer noch ungeduldig.
»Schlechter Moment?«
»Ja«, sagte sie leicht besänftigt.
»Soll ich später noch mal anrufen?«
Sie wollte nicht noch eine Woche
herumhängen und warten und sich fragen, ob er anrufen würde. »Nein, dígame«, sagte sie.
»Ich habe mir überlegt, ob du
vielleicht Lust hast, zu einer Vorführung zu kommen«, hatte er gesagt.
»Klar, wann denn?«
»Nächsten Donnerstag?«
»Keine Chance«, sagte Ginger und haßte
sich selbst dafür, daß sie die idiotischen coolen Redewendungen benutzte, die
Leute wie Charlie immer gebrauchten. »Pic kann nur freitags babysitten.«
»Na ja, es gibt auch eine am Freitag«,
sagte Charlie.
»Okay«, hatte sie gesagt, den Hörer
zwischen Schulter und Kinn geklemmt, nach einem Kugelschreiber gegriffen und
sich die Adresse notiert. Sie hatte nicht einmal gefragt, was vorgeführt würde.
»Ich habe mein Fahrrad gar nicht
dabei«, erklärte Ginger jetzt, als er nach unten zeigte. »Ich dachte, es gäbe
vielleicht was Alkoholisches. Das ist bei Vorführungen oft so«, informierte sie
ihn sachkundig. »Und
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