Keine große Affäre
hatte.
»Glaubst du, daß du wieder Depressionen hast?«
»Nein«, sagte Alison. »Danke, aber ich
möchte nicht darüber sprechen.«
»Okay«, willigte Ramona ein. »Aber du
weißt, wo ich bin, wenn du mich brauchst.«
»Danke«, wiederholte Alison, und als
sie Ramonas Gesicht lang werden sah, fügte sie hinzu: »Du bist eine gute
Freundin... Es tut mir leid, aber es ist etwas, das ich irgendwie selber lösen
muß.«
»Okay, okay.« Ramona lächelte und
begab sich wieder an die Arbeit.
»Hey!« sagte sie nach ein paar
Schweigeminuten. »Würde dir ein Wochenende in Paris helfen?«
Alison lachte. »Was meinst du damit?«
fragte sie, als sie sah, daß Ramona einen Vorschlag machen wollte.
»Ich hätte gern einen Artikel über
junge britische Designer und wie sie die traditionellen, alten Modehäuser
übernehmen. Wir hatten schon alles darüber,, daß Großbritannien in der Modewelt
führend ist, daß London das neue Paris ist und so weiter, aber das liest man
jedes Jahr, wenn London Fashion Week ist. Ich will was darüber, daß Paris das
neue London ist, und es soll über die üblichen Cliches hinausgehen. So um die
dreitausend Worte... Was sagst du?«
»Das ist eine gute Idee«, sagte
Alison.
»Aber würdest du das gern machen? Du
sagst immer, du würdest gern wieder schreiben. Ich weiß, es geht um Mode, aber
ich gebe Spesen für einen Frühlingsurlaub in der romantischsten Stadt der Welt
dazu. Wann hat Stephen das nächste Mal am Wochenende frei?«
»Ich denke drüber nach«, antwortete
Alison. Ramona liebte es so sehr, die Probleme anderer Leute zu lösen, daß es
oft schwer war, von ihrer Großzügigkeit nicht umgerissen zu werden.
»Aber nicht zu lange«, warnte Ramona.
»Nein, ich überleg’s mir beim Lunch«,
versicherte Alison ihr.
Plötzlich war es Frühling, und es
schien, als hätte jemand nach dem langen, düsteren Winter das Licht
angeschaltet. In der Sonne war es richtig warm, und Bäume, deren Existenz sie
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte, bekamen lindgrüne Blätter, eine
Farbe, die sich gegen den klaren, blauen Himmel so leuchtend abhob, daß sie
fast künstlich aussah, wie die fluoreszierenden Zitrusfarben, die für die
Strandsachen des kommenden Sommers in den Läden auftauchten.
An einem Tag wie diesem, dachte sie,
hatte sie Stephen geheiratet, in der St. Bride’s Church an der Fleet Street.
Die schmucklose Kirche mit den großen, schlichten Glasfenstern war vom
Sonnenlicht erhellt gewesen, und auf ihrem Hochzeitsphoto, auf dem sie in die
Kamera lächelten, waren im Hintergrund ein roter Doppeldeckerbus und die alte
Uhr des Daily Telegraph zu sehen. Es war ein sehr städtischer Rahmen
gewesen. Eine Journalistenhochzeit in einer Journalistenkirche. Sie war stolz
auf den Triumph, den das über ihre Mutter darstellte, die alles darum gegeben
hätte, ihre Tochter auf dem Photo im weißen Zuckerwattekleid unter einem
überdachten Kirchhofseingang einer ländlichen Kirche abgebildet zu sehen. Dafür
hätte sie sogar einen pastellfarben angemalten Hintergrund gemietet, dachte
Alison.
Alison hatte ein bodenlanges,
elfenbeinfarbenes Seidenkleid ohne jeden Schmuck getragen außer einem langen,
zarten Stück Chiffon, das sie sich als Stola über die nackten Schultern gelegt
hatte und das von einem Bouquet aus fünf blaßgoldenen Rosenknospen festgehalten
wurde. Sie hatte einen kleinen, niedlichen Strauß ähnlicher Rosen in der Hand
gehalten und war mit dem Selbstvertrauen einer Frau, die weiß, daß sie besser
aussieht als je zuvor, den Gang entlang geschritten. Als sie näher kam, hatten
Stephens Augen vor Bewunderung geleuchtet.
Alison überquerte die Straße, um auf
die sonnige Seite zu kommen, und lief rasch in Richtung Themse. Sie ging in die
französische Patisserie gegenüber der U-Bahnstation und kaufte sich ein heißes,
köstlich riechendes Croissant, gefüllt mit geräuchertem Schinken und Gruyère,
und Cappuccino in einem Polystyrolbecher.
Die Hochzeit war perfekt gewesen, erinnerte
sie sich, und die Flitterwochen traumhaft. Sie hatte es Stephen überlassen, das
Reiseziel auszusuchen, teils weil sie alles andere bis ins kleinste Detail
organisiert und die Nase von Anzahlungen, Entscheidungen, Anproben und
Bestätigungen voll hatte, teils weil der kleine spießige Teil in ihr, der eine
traditionelle Hochzeit gewollt hatte, sich von ihrem neuen Ehemann eine
Überraschung wünschte. Aber als der Tag näherrückte, hatte sie es nicht mehr
ausgehalten und versucht
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