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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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Jahren, die sie schon für ihn arbeitete, ausgerechnet
heute zum ersten Mal kritisierte. Ein anderer Teil von ihr dagegen wünschte
sich fast, daß er ihr vorschlug, nach dem Mutterschaftsurlaub nicht mehr
zurückzukehren. Welch eine Erleichterung wäre das, eine Atempause zu bekommen,
eine Entschuldigung, sich in Ruhe zu überlegen, was sie mit ihrem Leben
anstellen wollte, und dazu eine großzügige Abfindung. Das Problem war, daß sie
zu gut war. Er hatte freundlich mit ihr gesprochen, seine Kritik als reinen
Kommentar dargestellt und ihr gesagt, wie sehr er sie schätzte. Sie haßte die
Freundlichkeit, die Frauen in ihrem Zustand zugedacht wurde, wie fetten
Madonnen, die man flüsternd verehren mußte.
    Manchmal wünschte Alison sich, sie
wäre mutig genug zu kündigen. Der Job machte ihr einfach keinen Spaß mehr. Das
erste Jahr war toll gewesen. Sie hatte ihr Gehalt mit vollen Händen ausgegeben,
war zu allen Veranstaltungen, zu denen sie freien Eintritt hatte, gegangen,
hatte haufenweise teure Klamotten gekauft, sich das Haar wie eine Powerfrau
schneiden lassen und den Erfolg und die Anerkennung genossen, für die sie so
hart gearbeitet hatte. Im zweiten Jahr war alles leichter, mehr Routinearbeit,
zwar immer noch angenehm, aber weniger anspruchsvoll, was ihr damals ganz
gelegen kam. Aber im letzten Jahr hatte es angefangen, sie verrückt zu machen.
Ihr Leben nach Essen auszurichten: Im August mußten es Barbecues und
Gartenmöbel sein, im November Trostmenüs und Kamine; das endlose Fahnden nach
neuen Gerichten und originellem Christbaumschmuck. Wenn sie nicht endlich schwanger
geworden wäre, hätte sie sich auf die Suche nach einem anderen Job gemacht, wo
sie mehr zum Schreiben kam oder wenigstens Interessanteres redigieren könnte
als gut geschriebene und schön illustrierte Artikel über Kulinarisches, Gärten
und Innendekoration.
    Sie träumte davon, sich zur
Krankenschwester ausbilden zu lassen, für eine Wohltätigkeitsorganisation zu
arbeiten, einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Mit jedem
Monat, der verging, in dem sie immer mehr Beiträge über die Stildilemmas der
Mittelklasse plante — tapezieren oder streichen, farbig oder schwarzweiß —
wurde sie immer unzufriedener mit ihrem Leben und stellte zunehmend alles in
Frage: sich selbst, ihren Job, ihre ganze Existenz.
    Sie hatte angenommen, daß die Aussicht
auf ein Baby allem einen Sinn geben würde. Aber es war nicht so. Manchmal lag
sie in der Nacht wach und fragte sich, warum sie um Gottes willen so erpicht
darauf gewesen war, und was sie dazu bewogen hatte, sich zweimal der seltsamen,
unnatürlichen Prozedur der in vitro -Befruchtung zu unterziehen. Sie
fragte sich, warum sie eine solche Perfektionistin war, die immer verzweifelt
versuchte, etwas zu erreichen, und dann unzufrieden war, wenn sie es geschafft
hatte. Der Job, das Baby — das hing alles zusammen. Irgend etwas trieb sie an
und gönnte ihr nie die Muße, sich zu überlegen, was sie eigentlich wollte. Ihre
erste Reaktion auf den positiven Schwangerschaftstest war der reine Triumph
gewesen, die zweite absolute Panik.
    Als sie in dieser ersten Nacht
nebeneinander im Dunkeln lagen, hatte Stephen sie gefragt, warum sie zitterte,
und sie hatte flüsternd geantwortet, als ob es unwahr würde, wenn sie es leise
sagte: »Ich glaube, ich will gar kein Baby.«
    »Dafür ist es jetzt zu spät, Liebes«,
hatte er entgegnet, und sie hatte an seiner freundlichen Stimme gehört, daß er
lächelte. Er hatte es für einen Scherz gehalten.
    Alisons Baby bewegte sich und stieß
mit dem Kopf gegen ihr Schambein. Sie zuckte vor Schmerz zusammen.
    »Autsch!« sagte Ramona, als sie ihren Gesichtsausdruck
sah. »Es ist überhaupt nicht wie im Film, oder?« Ramona hatte zwei erwachsene
Kinder. Nur Frauen, die selbst eine Schwangerschaft durchgemacht hatten,
konnten die Unannehmlichkeiten des Zustandes annähernd verstehen.
    »Das kommt auf den Film an«,
antwortete Alison mit vorgetäuschter Fröhlichkeit. »Ich habe schon welche
gesehen, in denen Frauen im Wochenbett sterben.«
    Nach diesem Witz fühlte sie sich
besser. Sie wollte ihren Schmerz nicht mit Ramona teilen. Eines der Dinge, die
sie an der Schwangerschaft am meisten haßte, war der Verlust der Intimsphäre.
Sobald man schwanger aussah, wurde man zu einer Art Allgemeinbesitz. Selbst
wenn man sich so verhielt, als sei nichts geschehen, dachten die Leute,
manchmal sogar wildfremde Menschen, daß sie das Recht hatten, einen

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