Keine große Affäre
hatte sie schlicht geantwortet.
Später hatte sie darüber nachgedacht,
wie seltsam es war, daß es ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen war, ihn zu
fragen, wie er das wissen konnte oder wie oft er das in seinem Leben schon
gesagt hatte oder warum, oder irgendeine Frage zu stellen, die einem
normalerweise durch den Kopf ging. Und sie wurde sich klar darüber, daß der
Grund darin lag, daß sie genauso empfand wie er. Es hatte schon früher Männer
in ihrem Leben gegeben, die sie zu lieben glaubte, aber keinen wie Neil. Es war
nicht nur, daß er absolut hinreißend war, oder dieses ironische Lächeln in
seinen Augen, das sie sofort feucht werden ließ, wenn sie ihn anschaute. Es war
einfach, als wären sie füreinander bestimmt. Zehn Jahre lang hatte sie sich
zwischen verschiedenen Ländern und Männern treiben lassen, doch jetzt hatte sie
den Menschen gefunden, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
Noch am selben Tag hatte sie ihren Job
aufgegeben. Sie bestiegen sein Motorrad, verließen das Dorf und machten
Streifzüge an der Küste entlang. Sie schlugen an einsamen Stränden sein Zelt
auf und badeten im Meer, das im Mondlicht wie geschmolzenes Metall aussah, aber
eiskalt war. An der westlichen Spitze Europas hatten sie unter dem hellen
Sternenhimmel Treueschwüre ausgetauscht und waren dann zurück nach England
gegangen. Vorher hatte sie nicht im Traum daran gedacht zurückzukehren, aber
mit Neil zusammen war es eine wahre Heimkehr gewesen.
Lia setzte sich langsam auf und erhob
sich vorsichtig. Als sie den Garten hinauf lief und die Hintertür öffnete,
hörte sie das Stottern des Motorrads, als Neil von der Hauptstraße in ihre
Straße einbog. Sie beobachtete ihn durchs Fenster, als er sein Motorrad
abschloß, den Helm abzog und dann die Box hinter dem Sitz öffnete und etwas
herausholte. Einen Nelkenstrauß, der in der Hitze welkte. Mit hängenden
Schultern stieg er nachdenklich die wenigen Stufen zu ihrer Tür herauf. Als er
sie hinter der Spitzengardine entdeckte, erhellte ein Lächeln sein Gesicht, und
er winkte ihr mit den Nelken zu. Und sie öffnete ihm die Tür und fragte sich,
wieso er ihr Blumen gekauft hatte.
»Wie war denn nun der Photograph
gestern abend?« fragte Ramona, die den Mund voll Sandwich hatte.
Sie saßen auf einer Parkbank in einem
staubigen, dreieckigen Stadtpark, in dem sie oft ihre Mittagspause verbrachten,
weil er nur ein paar Straßen vom Büro der Zeitung entfernt lag. Einen
Augenblick lang wußte Alison nicht, wovon sie sprach.
»Oh, das war nicht er. Es war Stephen.
Er wollte mich zu dem Kurs abholen.«
»Süß von ihm. Wie war es denn?« fragte
Ramona.
Alison wollte gerade in ihr Sandwich
beißen. Sie hielt einen Moment mit weit geöffnetem Mund inne und fragte sich,
ob sie Ramona erzählen sollte, was passiert war.
»Ganz gut«, sagte sie und biß zu.
»Was wollte denn der Herausgeber an
deinem letzten Tag so dringend von dir?« fragte Ramona.
Als sie an diesem Morgen ins Büro kam,
hatte sie auf ihrem Schreibtisch eine Nachricht vom Herausgeber gefunden, die
besagte, daß sie noch vor Feierabend auf einen Sprung bei ihm vorbeikommen
sollte.
»Ist nicht besonders glücklich über
die vielen Babyartikel, die ich in den letzten Wochen getestet habe«, sagte
Alison und betupfte ihre Mundwinkel mit einer Papierserviette. »Mir war gar
nicht bewußt, daß ich so besessen war, bis er mir vier Beispiele in den letzten
sechs Wochen aufgezählt hat: Autositze, Tragehöschen, Babykörbchen und
Mobiles.«
»Na ja, wenigstens hast du jetzt dein
Kinderzimmer eingerichtet«, sagte Ramona trocken.
»Schon, aber wie viele Babykörbchen
kann man auf einmal benutzen? Ich glaube, ich spende die anderen einem
Krankenhaus.«
»Macht dir das Sorgen?« fragte Ramona.
»Was?« antwortete Alison. »Der
vorübergehende Verlust von Gehirnzellen?«
»Du weißt schon, dein
Mutterschaftsurlaub... Gerade jetzt drei Monate aufzuhören, wo die Zeitung in
solchen Schwierigkeiten steckt... Wer weiß, wer bei deiner Rückkehr an deinem
Schreibtisch sitzt... Das meine ich.«
»Ich glaube nicht, daß ich eine große
Wahl habe«, sagte Alison diplomatisch und blickte auf ihren dicken Bauch.
Ramona war zwar eine gute Freundin,
aber sie wollte immer ein bißchen zu viel wissen. Sie hatte so eine Art,
Unsicherheiten anzusprechen, von denen man nicht einmal wußte, daß man sie
hatte. Ein Teil von Alison fand es wirklich etwas merkwürdig, daß der
Herausgeber sie in den drei
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