Keine große Affäre
Ich
verstehe jetzt die Redewendung schweren Leibes sein<. Und dazu noch diese
wahnsinnige Hitze. Auch wenn es kühler wird, fühle ich mich wie ein
aufgeheizter Wasserboiler.«
Ihr Vater lachte.
Sie war dankbar, daß er sie sofort auf
ihren Zustand ansprach. Vielleicht war es jetzt einfacher für ihn, dachte sie,
jetzt wo ihre Schwangerschaft unübersehbar war. Ihr war aufgefallen, daß die
Leute in der Arbeit sie nun mit ein wenig Respekt behandelten, ihr die Türen
öffneten und ihr sofort zu Hilfe eilten, wenn sie etwas umherzurücken
versuchte. Sogar ihre Chefin zwang sie nicht mehr, Briefe mit kleineren
Zeichensetzungsfehlern noch einmal zu tippen.
Die Atmosphäre im Raum schien sich
gelöst zu haben, und sie war in der Lage, ihn über die Operation auszufragen.
Sie wußte, daß er niemals unvorbereitet in ein Meeting ging, schon gar nicht in
eines mit einem messerschwingenden Chirurgen. Er beschrieb das Verfahren bis
ins kleinste Detail: die Extraktion arterieller Substanz vom Oberschenkel, ihre
Transponierung zum Herzen, die Verlegung des Bypasses durch Umgehung des
Bereiches, der versagte. Ihr war nicht bewußt gewesen, daß die Operation eine
so wörtliche Bezeichnung hatte.
»Das ist heutzutage reine Routine«,
informierte er sie, und obwohl er zuversichtlich klang, wußte sie, daß er Angst
hatte und er das nicht nur sagte, um sie zu beruhigen, sondern auch sich
selbst.
Eine Krankenschwester kam herein, um
Puls und Blutdruck zu überprüfen. Pic nickte ihr zu, und sie standen auf, um zu
gehen.
»Viel Glück!« sagte Pic, beugte sich
über ihn und küßte ihn auf die Wange. »Ich liebe dich, Daddy«, sagte sie, ging
hinaus und ließ Ginger mit ihm allein.
Ginger stand verlegen neben dem Bett.
»Ich hoffe, es geht gut«, sagte sie.
»Ja«, antwortete er.
»Okay«, sagte sie, unfähig, ihn zu
küssen. Als sie gehen wollte, streckte er die feste, knochige Hand aus und
ergriff ihre. Sie schaute ihn an und sah, daß seine Augen voller Tränen waren.
Sie drückte seine Hand und sagte: »Paß auf dich auf. Bis bald.«
Er nickte ihr schweigend zu, mit
zusammengepreßtem Mund, und ließ ihre Hand los.
»Ich glaube, hier gibt’s eine
Cafeteria«, sagte Pic und nahm ihren Arm, als sie die Station verließen,
nachdem sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hatten.
»Nein«, antwortete Ginger. »Laß uns
woanders hingehen. Ich hasse Krankenhauskantinen. Da sitzen immer so viele
traurige Leute herum.«
Auf der anderen Straßenseite war ein
italienischer Sandwich-Shop. Im hinteren Teil standen zwei Tische hinter einem
riesigen Kühlschrank mit Glastür, der mit rostfreien ovalen Stahlschüsseln voll
Sandwichbelägen beladen war. Sie bestellten Cappuccino, und Ginger war nicht in
der Lage, einem Schinken-Avokado-Sandwich mit dunklem Brot und einem Doughnut,
das vor Vanillesauce nur so triefte, zu widerstehen.
»Danke, daß du mich gezwungen hast,
hinzugehen«, sagte Ginger.
»Ich habe dich nicht gezwungen«, sagte
Pic neutral.
»Doch, das hast du. Ich dachte, ich
könnte damit umgehen, wenn er stirbt, ohne daß wir Frieden geschlossen haben,
aber das wäre wirklich schrecklich gewesen.«
»Er wird nicht sterben«, sagte Pic.
»Nein?«
»Nein«, antwortete Pic bestimmt. Dann
fragte sie, als könnte sie die trübsinnige Unterhaltung nicht mehr ertragen:
»Und, was machst du jetzt mit Charlie Prince?«
Instinktiv blickte Ginger über ihre
Schulter. Der Name Charlie Prince war eines der wenigen Geheimnisse, die sie je
für sich behalten hatte. Sie hatte sich eingebleut, den Namen nicht
auszusprechen, egal wie groß die Versuchung war, und es war ein komisches
Gefühl, ihn in der Öffentlichkeit zu hören.
Es gab auf der Welt nur zwei Menschen,
die wußten, wer der Vater ihres Babys war. Ihr bester Freund Robert, weil es
seine Party war, von der sie zusammen verschwunden waren. Robert, der ein paar
Monte später erraten hatte, warum sie plötzlich nicht mehr trank, und sich den
Rest zusammengereimt hatte. Es zu leugnen war sinnlos gewesen, denn Ginger war
nicht nur unfähig, Geheimnisse zu bewahren, sondern auch eine schlechte
Lügnerin. Und Pic. Sie hatte es Pic erzählt, weil sie Pic absolut alles
erzählte und ihr weit mehr vertraute als sich selbst.
»Ich denke, ich sollte ihn lieber
anrufen und rausfinden, was er will«, sagte sie jetzt zu ihrer Schwester. »Wahrscheinlich
will er nur sowas wissen wie die direkte Durchwahl von irgendwem bei der BBC,
der seine Telephonanrufe ignoriert.«
Sie
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