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Keine große Affäre

Keine große Affäre

Titel: Keine große Affäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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dann damit zu ihrer
Mutter zurück, die mit Seidenschal und Regenmantel hinter dem Windschutz
kauerte und versuchte, die Sandwiches gegen den Sand zu verteidigen.
    »...Als ich älter wurde, war es nicht
mehr so toll«, sagte Lia gerade. »Da wurde mir erst bewußt, daß die Leute uns
anders beurteilten, weil wir im Heim lebten.«
    »Aber ich bin sicher...«, wollte
Ginger protestieren.
    »Doch, so war’s«, unterbrach Lia sie
bestimmt. »Sie sagen es einem nicht ins Gesicht, aber man merkt, wie sie sich
bedeutungsvolle Blicke zuwerfen, wenn man vorbeigeht und unordentliches Haar
hat oder einen Schulblazer trägt, der ein bißchen zu klein ist... Es ist, als
würden sie nichts anderes erwarten, als daß man auf die schiefe Bahn gerät, und
wenn das passiert, sind sie überrascht. >Was für ein nettes Mädchen...<«
— sie ahmte einen Upperclass-Akzent nach — »Und dann der unausgesprochene
Nachsatz: >Wenn man bedenkt, wo sie herkommt...<« Sie blickte kurz hoch,
als wolle sie ihrem Standpunkt Nachdruck verleihen.
    Alison, die liberal eingestellt war,
hätte gern widersprochen, aber sie wußte, daß Lia recht hatte. Es war, als
hätte sie ihre Mutter zitiert.
    »Man gewöhnt sich dran«, fuhr Lia
fort. »Man lernt, seine Herkunft für sich zu behalten. Man hört aufmerksam zu,
was die anderen Mädchen in der Schule erzählen, und so erfährt man, wie es in
einer richtigen Familie zugeht. Was richtige Familien tun, wie zum Beispiel
gemeinsam vor dem Fernseher zu essen, am Wochenende einkaufen zu fahren, von
Onkeln und Tanten Geburtstagskarten zu bekommen, mit Dad Schlitten zu fahren,
wenn es schneit... Wahrscheinlich hat mich das auch am Kinderkriegen gereizt,
all diese Sachen machen zu können.«
    Sie sagte das, als wäre ihr der
Gedanke gerade erst gekommen. Lia hatte eine Art instinktive Intelligenz, die
sehr anziehend war, dachte Alison. Die Kombination zwischen erfrischender
Unkompliziertheit und Zähigkeit hatte es schwer gemacht, sie einzuordnen, und
die Beschreibung ihrer Kindheit lieferte die Antworten auf einige Fragen, von
denen sich Alison nicht einmal bewußt gewesen war, daß sie sie sich gestellt
hatte. Lia schien sich viel besser zu kennen als Alison, obwohl sie zehn Jahre
jünger war und weder aus einer stabilen Familie kam noch die
Ausbildungsmöglichkeiten genossen hatte, die in der englischen Middle Class
selbstverständlich waren.
    Die drei Frauen verstummten einen
Augenblick und dachten über die gewaltigen Veränderungen in ihrem Leben nach.
    »Habt ihr Lust auf Lunch?« fragte
Ginger und erhob sich.
    »Gute Idee«, sagte Alison.
    »Ja«, sagte Lia, die froh war, daß sie
ihre Beichte hinter sich hatte und sich die freundschaftliche Atmosphäre
zwischen ihnen nicht geändert zu haben schien.
    Sie einigten sich darauf, zu dem
Restaurant am anderen Ende der Parkanlagen zu gehen.
    »Laßt uns einen Schritt zulegen«,
kommandierte Ginger, die den Kinderwagenkonvoi anführte. »Ich hab immer noch
fünf Kilo Übergewicht!«
    Draußen standen Tische unter Gittern,
die mit Wein bewachsen waren, der verschrumpelte, sauer aussehende Trauben
trug. Ginger pflückte eine davon und steckte sich sich in den Mund, um
herauszufinden, ob sie echt war.
    »Hmm«, sagte sie und verzog das
Gesicht. »Sie sind zwar echt, aber ungenießbar.« Als sie sich alle hinsetzten,
fuhr sie fort: »Jetzt, wo wir alle erfahrene Mütter sind, sollten wir darüber
abstimmen, was daran am schlimmsten ist.«
    »Schlafmangel«, sagte Lia wie aus der
Pistole geschossen.
    »Stimmt«, sagte Ginger. »Wenn Guy ein
südamerikanisches Land wäre, würde Amnesty International eine Kampagne gegen
ihn starten. Es ist die reinste Folter, oder?« fragte sie Alison.
    Alison nickte lächelnd. Ihre Antwort
hätte etwas mit der überwältigenden Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu
tun gehabt, mit dem Gefühl, all dem nicht gewachsen zu sein, aber es war
leichter, einfach zuzustimmen. Der Schlafmangel war eine Belastung, und obwohl
Stephen jetzt meistens nachts das Baby fütterte, hatte sie noch immer nicht das
Gefühl, den Schlaf nachgeholt zu haben, den sie in den ersten paar Wochen
verloren hatte.
    »Und das Beste daran?« fragte Ginger
sie.
    »Nicht mehr schwanger zu sein«,
antwortete Alison sofort.
    »Nicht zu arbeiten«, sagte Ginger
seufzend.
    »Ich finde es am schönsten, sie
einfach nur in den Armen zu halten«, sagte Lia, und Alison bemerkte leicht
schockiert, daß Lia ihr Baby an die Brust gelegt hatte, fast versteckt

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