Keine große Affäre
geschielt
und gesagt, was für ein gutaussehendes Kerlchen er doch war. Sie hatte
festgestellt, daß er ihr dadurch viel sympathischer geworden war.
»Nun, was denkst du?« fragte sie ihren
Vater schließlich.
Er schnupperte. »Ich glaube, da brennt
etwas an.«
»Gott, die Quiche!« Ginger drückte ihm
das Baby in die steifen Arme und rannte zum Ofen.
Die Marks & Spencer Broccoli-
und Tomatenquiche wies auf der Oberfläche ein viel dunkleres Braun auf als auf
dem Foto auf der Packung. Sie riß sie heraus und ließ sie auf die Arbeitsfläche
fallen, als der heiße Alubehälter ihr die bloßen Finger verbrannte. Auf
wundersame Weise landete die Quiche mit der richtigen Seite nach oben.
»Vielleicht warst du doch ein wenig
übereifrig, mich gleich zum Lunch einzuladen«, lachte ihr Vater. »Komm, ich
rufe Colin an, und er bringt uns irgendwohin, wo es nett ist.«
Er klemmte Guy unter den Arm, zog ein
Handy aus der Anzugtasche und fing an, auf Knöpfe zu drücken.
Ginger kochte. »Nein«, sagte sie und
bemühte sich, nicht zu schreien.
»Wirklich, Darling, es ist kein
Problem. Er dreht sowieso nur seine Runden um den Block, bis ich ihn brauche.«
Sie wußte nicht, was sie am meisten in
Rage brachte: Wie er seinen Chauffeur behandelte, wie beiläufig er ihre
Gastfreundschaft ausschlug, oder daß er Guy wie einen überflüssigen Mantel im
Arm hielt. Das bestärkte sie nur noch mehr in ihrem Entschluß, dabei zuzusehen,
wie er sich die ausgetrocknete Quiche mit der verbrannten Käsekruste in den
hochmütigen Mund schob.
»Auf keinen Fall«, sagte sie und nahm
ihm Guy wieder ab. »Ich habe keinen Kindersitz für Guy, und ich will heute
nicht noch einmal mit ihm raus. Es ist zu kalt.«
»Aber im Auto ist es gemütlich warm,
und du kannst ihn doch sicher auf den Schoß nehmen. Wir haben das immer getan.«
»Das ist illegal«, sagte sie zu ihm.
»Und wir wollen doch nicht, daß ein Minister der Regierungspartei zum
Gesetzesbrecher wird...«
Man sah ihm an der Nasenspitze an, daß
er das Potential einer Story im Daily Mirror erkannte, wenn einem
Reporter ein Schnappschuß von ihm, seiner alleinstehenden Tochter und ihrem
Balg gelingen sollte. Sie wußte, diese Machtprobe hatte sie gewonnen.
Ginger setzte Guy auf einen Wippstuhl.
Dann öffnete sie eine Tüte mit Salat, verteilte den Inhalt auf zwei Teller,
halbierte die Quiche und ließ eine Hälfte auf ihren Teller gleiten, die andere
auf den ihres Vaters. Während er aß, löffelte sie Guy ein Glas biodynamisches
Gemüsepüree in den Mund und verspürte ein grausames Triumphgefühl, als sie
ihren Vater dabei beobachtete, wie er auf dem unappetitlichen, trockenen Essen
herumkaute. Sie wußte, daß ihm jeder einzelne Happen ins Gedächtnis rief, daß
seine weißen Zähne, die er bei jedem arroganten Lächeln zur Schau stellte,
nicht seine eigenen waren.
Sir James trank gehorsam die Tasse
Pulverkaffee, die sie ihm gemacht hatte, und zog dann wieder sein Handy hervor.
»Okay, Colin, wenn Sie so freundlich wären.« Dann schaltete er es aus und sagte
mit dem falschen, bedauernden Unterton, dessen er sich so oft bediente, wenn er
im Fernsehen zu sehen war: »Entschuldige vielmals, daß es nur so ein kurzer
Besuch war, aber es hat mir große Freude bereitet, dich wohlauf zu sehen.«
»Willst du gar nichts zu meinem Baby
sagen?« fragte sie ihn, als der Wagen draußen vorfuhr.
»Nun ja, er ist sicher sehr süß,
Schatz. Wir werden bestimmt gute Freunde, wenn er erst ein bißchen älter
ist...«
Nach dem zweiten Kreisel der A1 zog
die Kawasaki 900 richtig ab. Neil gab ordentlich Gas und blickte kurz auf den
Tacho. Der Zeiger glitt zitternd über 160. Es war ein phantastisches Gefühl, zu
beschleunigen, die Vororte Londons hinter sich zu lassen und an Feldern
vorbeizuschießen, die noch weiß vom Morgenfrost waren, weil die Lichter der
Stadt sie nicht wärmten. Von feuchten, schlammigen Grasflächen erhob sich
Nebel, der mit dem rosagetünchten Grau des Himmels verschmolz, als die blasse
Sonne zu seiner Linken allmählich schwand und schnell der Dunkelheit Platz
machte. Er fühlte sich wie befreit.
Pete lebte in einem Dorf, das nicht
einmal drei Meilen von dem städtischen Parkwächterhäuschen entfernt war, in dem
sie gewohnt hatten. Es war ein großes Haus mit Kieselrauhputz, in den sechziger
Jahren im Rahmen des Sozialwohnungsbaus erbaut, mit einem großen Garten, der
als Werkstatt, Ersatzteillager und Abenteuerspielplatz für die Jungs diente.
Neil stellte
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