Keine große Affäre
sein, weil sie soviel Spaß zu haben
schienen.
»Ja, genau das war’s. Sie sind immer
in zwei Reihen gegangen.« Der Gedanke daran heiterte sie auf.
»Hast du deine Mutter mal gesucht, ich
meine, versucht, sie ausfindig zu machen, jetzt wo du erwachsen bist?« fragte
Alison.
»Ich glaube nicht, daß sie daran
erinnert werden wollte. Nein, das wäre nicht fair«, antwortete Lia.
Lias Selbstlosigkeit stimmte Alison
nachdenklich. So würde sie das überhaupt nicht sehen, dachte sie.
»Vor einer Weile hat Stephen versucht,
seine richtige Mutter zu finden«, erzählte sie Lia. Ihr lag viel daran, daß Lia
sich verstanden fühlte. »Er ist adoptiert worden. Es war ganz witzig, denn es
stellte sich heraus, daß eine seiner Halbschwestern eine Journalistin ist, die
ich flüchtig kenne... Aber seine Mutter war bereits gestorben. Es war keine
besonders befriedigende Erfahrung.«
Beide aßen ein paar Salatblätter.
»Man entwickelt sich schließlich
weiter, oder?« sagte Lia schließlich. »Man muß nicht ständig in der
Vergangenheit herumstochern.«
»Nein«, stimmte Alison zu, die lieber
nichts mehr dazu sagte.
Dann wurde zuerst Ben wach, danach
Anouska, und als sie in den Flur liefen, um sie aus den Kinderwagen zu nehmen,
kam Alisons Mutter.
Oben auf Richmond Hill hielt ein
schwarzer Rolls-Royce. Der Chauffeur sprang heraus und rannte um das Auto
herum, um die Hintertür zu öffnen. Sir James Prospect erhob sich etwas mühevoll
von seinem Sitz und trat auf den Bürgersteig. Er gab dem Fahrer eine Anweisung.
Der tippte an seinen spitzen Hut, lief wieder um den Wagen herum, stieg ein und
fuhr weg.
Ginger beobachtete die Szene von ihrem
Wohnzimmerfenster im Erdgeschoß aus und hoffte, daß keiner ihrer Nachbarn die
Ankunft ihres Vaters mitbekommen hatte. Sie waren an Limousinen gewöhnt — ein
berühmter Rock ’n ’ Roller, inzwischen mittleren Alters und ehrbar geworden,
hatte vor kurzem eines der hiesigen Terrassenhäuser gekauft — , aber ihr Vater war
eine so verhaßte Persönlichkeit, daß sie ihre Verwandtschaft mit ihm lieber
geheimhalten wollte.
Er blickte zum Fenster und sah sie
dort stehen. Sie winkte ihm zu, ohne sein Lächeln zu erwidern, und ging zur
Tür, um ihn hereinzulassen.
»Ich fürchte, ich habe nicht viel
Zeit«, waren seine ersten Worte, als sie die Tür öffnete.
Sie hätte sie ihm am liebsten vor der
Nase wieder zugeschlagen.
Er beugte sich herunter, um sie zu
küssen, aber sie trat einen Schritt zurück, weil sie bei dem bedeutungslosen
Begrüßungsritual nicht mitspielen wollte.
Sie überließ es ihm, die Tür zu
schließen und marschierte zurück in das geräumige Zimmer mit der hohen Decke.
Sie erinnerte sich daran, daß sie sich selbst das Versprechen gegeben hatte,
ihn charmant und zuvorkommend zu behandeln. Sie hatte jetzt auch ein Kind, und
sie mußte höflich zu ihm sein, wenn auch nur, weil sie es ihrem Sohn schuldete.
Aber in dem Moment, als sie den Wagen gehört hatte, war eine unkontrollierbare
Ungeduld in ihr aufgestiegen. Es war dasselbe Gefühl, wie sie es als Kind
gehabt hatte, bevor sie einen Wutanfall bekommen hatte. Jetzt, wo sie älter
war, konnte sie sich beherrschen, doch es bereitete ihr große Mühe und machte
sie verkrampft und wortkarg.
Sie nahm Guy von seiner Matte und
hielt ihn an sich gedrückt. Sie genoß seine Wärme, den süßen Duft seines
Haares, den Trost seines kleinen, kräftigen Körpers, der wie angegossen an
ihren paßte.
»Das ist Guy«, sagte sie und drehte
sich herum, damit ihr Vater ihn sehen konnte, bot ihm jedoch nicht an, ihn zu
halten.
Sie beobachtete Guys Gesicht, als er
registrierte, daß noch eine andere Person im Zimmer war. Manchmal starrte er
die Leute mit so unverhohlenem Argwohn an, daß sie am liebsten losgelacht
hätte.
»Hallo, junger Mann«, sagte ihr Vater.
Die Worte schmerzten sie. Er klang wie
ein Onkel, der seinen Neffen in Eton besuchte und jede Art von scheußlicher,
unenglischer Gefühlsduselei vermeiden wollte. Sie rechnete fast damit, daß ihr
Vater Guy die Hand schütteln würde.
Sie wartete so lange darauf, daß er
etwas Nettes über ihr Baby sagen würde, bis sie es nicht mehr aushalten konnte.
In der letzten Zeit hatte sie mehr für Leute übrig, die sagten, daß er
hinreißend war, als für diejenigen, die Bemerkungen über seine Größe machten.
»Hübsch« war auch gut, und einmal, als sie beim Spaziergang am Fluß Lia und
ihrem Partner in die Arme gelaufen war, hatte Neil in den Kinderwagen
Weitere Kostenlose Bücher