Keine große Affäre
sie zusammen waren, das Gefühl
hatten, einfach alles sagen zu können. Manchmal gestand eine von ihnen,
meistens Ginger, ihre Versagensängste, die auch die beiden anderen verspürten,
und es war eine solche Erleichterung zu wissen, daß man mit dem Gefühl nicht
allein dastand. Doch das hatte immer etwas mit den Babys zu tun, ernannte Lia
jetzt. Als Mütter waren sie gleich, aber in jeder anderen Beziehung waren sie
grundverschieden. Vielleicht erwähnten sie die Männer aus Rücksicht auf Ginger
nicht, weil sie keinen hatte.
»Ja«, antwortete Alison. »Er ist ein
viel besserer Vater, als ich erwartet hatte, wenn ich ganz ehrlich bin.«
»Wirklich?« sagte Lia. »Bei Neil ist
es genau umgekehrt...«
»Oh.« Alison wandte sich ab, wühlte in
einem Schrank herum und holte ein halbleeres Glas mit sonnengetrockneten
Tomaten in Öl hervor. Sie wünschte plötzlich, sie hätte Lia nicht zum Essen
eingeladen.
»Ich dachte, er würde toll sein, aber,
na ja... Vielleicht fällt es ihm leichter, wenn sie etwas älter ist«, fuhr Lia
fort.
»Ich glaube, viele Männer sind so.«
Alison seufzte erleichtert. Thema abgehakt. Sie tropfte Essig in das Glas.
»Vielleicht ist es meine Schuld«,
sprach Lia weiter. »Die Liebe zu Anouska nimmt mich so in Anspruch, daß ich
nicht genug Zeit für ihn habe...« Was sie nicht verstehen konnte, war, warum
Neil, jetzt wo sie ein wunderschönes kleines Mädchen hatten und sie als Mutter
so glücklich war wie nie zuvor, anscheinend versuchte, alles kaputtzumachen.
»Man braucht eben eine gewisse
Gewöhnungszeit«, unterbrach Alison sie, die sich schrecklich fühlte, weil sie
nicht bereit war, im Gegenzug ihre eigenen Probleme preiszugeben. Diese
Unterhaltung erinnerte sie langsam an die langen, qualvollen Gespräche, die sie
während der Schulzeit mit Sally geführt hatte, wenn sie sich alles erzählten,
was ihnen auf dem Herzen lag, wobei sie niemals geglaubt hatte, daß Sally ihr
soviel erzählte wie sie Sally. Und jetzt verstand sie auch, warum. Es gab einem
eine Art Machtgefühl, der Beichtvater zu sein und nicht die Beichtende. Aber
sie wollte diese Macht nicht.
»Ich hasse es, finanziell von Neil
abhängig zu sein«, fuhr Lia fort. »Ich meine, ich weiß ja, daß das, was ich
tue, ein Fulltime-Job ist, aber ich bin daran gewöhnt, für mich selbst
aufzukommen, und deshalb fühle ich mich irgendwie komisch... Ich dachte nicht,
daß sich das auf unsere Beziehung auswirken würde, aber das ist der Fall. Weißt
du, was ich damit meine?«
Alison hörte zu. Sie hielt das Glas
mit dem Salatdressing in die Luft, um es zu schütteln. Warum erzählst du mir
das, wollte sie Lia fragen. Ich will nicht soviel von dir wissen. Zieh mich
nicht in dein Leben hinein.
»Ich plage mich mit einem ganz anderen
Schuldgefühl herum...« Alison versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu
lenken.
»Schuld?«
»Ben bei einer Fremden zu lassen, wenn
ich zur Arbeit gehe... Aber«, fuhr Alison fort, als sie zu essen anfingen, »ich
denke, als Mutter fühlt man sich sowieso die meiste Zeit schuldig, oder?«
»Schuldig?« wiederholte Lia.
»Verantwortlich ist das bessere Wort.
Aus heiterem Himmel bricht diese furchtbare Last der Verantwortung über einen
hinein. Man hat dieses Wesen in die Welt gesetzt, und wenn ihm irgendwas
zustößt, trägt man die Schuld daran«, sagte Alison.
Lia trank noch einen Schluck Wein.
»Ich weiß nur, daß ich Anouska das beste Leben ermöglichen möchte, das in
meiner Macht steht, wenn du das meinst«, sagte sie nachdenklich. »Ich sehe sie
an, und ich liebe sie so sehr, daß mir nicht in den Kopf will, wie jemand sein
Kind im Stich lassen kann...«
Plötzlich hatte Alison großes
Mitgefühl mit ihr. Sie dachte daran, wie gelassen und freimütig sie ihnen von
ihrer Kindheit erzählt hatte. »Kannst du dich an deine Mutter erinnern?« fragte
sie behutsam.
»Ich glaube, ich erinnere mich ein
bißchen an sie«, sagte Lia leise. »Aber ich weiß nie genau, ob ich mir das
nicht nur einbilde. Ich habe immer geträumt, sie würde mich am Tor
zurücklassen, und ich ginge ganz allein diese lange, graue Einfahrt hinauf,
aber das kann nicht stimmen. Es gab dort keine Auffahrt, die so aussah. Das
Bild habe ich wahrscheinlich aus einem Buch. Es gab da so eins über Waisen...«
Sie versuchte sich an den Titel zu erinnern.
» Madeline ?« schlug Alison vor.
Das war eines ihrer Lieblingsbücher gewesen. Ihr fiel ein, daß sie sich damals
gewünscht hatte, auch ein Waisenkind zu
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