Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
kommt … und... ich glaube nicht, dass er ein freier Mitarbeiter ist oder ein Fotograf, denn er hat keine Mappe bei sich. Also, ich weiß nicht recht, was er hier zu suchen hat, aber... soll ich ihn zu dir raufschicken?«
»O Gott, nein! Großer Gott, nein! Mach das ja nicht!«
Duncan starrte Amelie aus neugierig funkelnden blauen Augen an. Amelie formte die Worte: »Das ist er« – und Duncan fing prompt an zu wiehern. Amelie zischte: »Pssst!«, und hielt sich den Hörer wieder ans Ohr. »Äh, pass auf, ich weiß auch nicht, was der hier zu suchen hat... aber ich will nicht, dass du dich damit rumschlagen musst – ich komme kurz runter und nehm ihn mir zur Brust. Keine Sorge, bin in zwei Sekunden bei dir...« Amelie legte auf.
»Wow, Amelie, dein ganz persönlicher Stalker. Wie trendy. Ich will auch einen«, neckte Duncan Amelie, die sich bereits erhoben hatte. Sie schlug ihm im Vorbeigehen spielerisch die Baseballkappe vom Kopf.
Kurz darauf trat Amelie aus dem Lift. Doch bevor sie sich in die gepflegte weiße Eingangshalle wagte, beschloss sie, sich diesen komischen, militantesten aller Speed-Dater erst einmal heimlich anzusehen und schlich lautlos hinter eine der wei ßen Säulen. Da sie sich so gut wie an keinen der Männer erinnern konnte, hatte sie keine Ahnung, wie er wohl aussehen mochte. Nur zwei Dinge waren gewiss: Er wusste, wo sie arbeitete, also musste er zu den wenigen »Auserwählten« gehören, denen sie die Wahrheit über sich selbst erzählt hatte. Was bedeutete, sie musste sich nicht die Mühe machen, so zu tun, als sei sie ein Mitglied des Birmingham Royal Ballet, eine erfolgreiche Schmuckhändlerin oder Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr von Chelmsford. Und das Zweite war, sie musste diesen Typen so schnell wie möglich wieder loswerden. Jeder, der – ohne die geringste Ermunterung – solche Anstrengungen unternahm, ein Mädchen wiederzusehen, mit dem er kaum drei Minuten lang gesprochen hatte, musste entweder eine Schraube locker haben – oder exzessiv romantisch sein.
Sie tippte auf Ersteres.
Besorgt kauerte sie hinter der Säule und musterte den gro ßen, dünnen Burschen mit beginnender Halbglatze in der grellorangen Steppjacke, der auf dem weißen Empfangssofa lümmelte, müßig in der Sun blätterte und sich dabei am Kopf kratzte. Verblüfft schaute sie zu, wie er sich mit einem Mal energischer zu kratzen begann und dann – Schreck lass nach – zu kratzen aufhörte und die Schuppen inspizierte, die in einem leisen Schauer auf seine Handfläche gerieselt waren. Dann, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, sich davon zu überzeugen, ob er auch wirklich unbeobachtet war, blies er die Schuppen von seiner Hand auf das weiße Sofa.
Lieber Gott, dachte Amelie, von jäher Religiosität erfüllt, bitte lass nicht zu, dass er das ist. Oder falls doch, hilf mir zu verstehen, warum dieser Mensch ausgerechnet an mir interessiert sein könnte? Was kann ich nur getan haben, um das zu verdienen?
Doch während Amelie noch mit dem grausamen Schicksal haderte, strich plötzlich jemand an ihr vorbei, und sie machte einen erschrockenen Satz.
»Amelie?«, dröhnte Josh laut genug, dass es durch die ganze Eingangshalle schallte. »Warum verstecken Sie sich hinter dieser Säule? Hoffen Sie hier Inspiration zu finden?«
»Ich?« Amelie stieß ein lautes, verlegenes Lachen aus und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass der Mensch in der orangen Skijacke nervös auf seinem Sitz hin und her zu rutschen begann. O nein, er war es also doch.
»Ach, ich? Also, ich verstecke mich doch nicht. Ich hab nur... hab nur... wollte mich nur kurz in dem Spiegel da anschauen!« Sie deutete auf die große Spiegelwand, die von ihrer Position aus gerade noch in Sichtweite war. »Aber ich hab jetzt keine Zeit für ein Schwätzchen – muss mich mit einem freien Mitarbeiter treffen«, sagte sie mit fester Stimme, als wäre das Thema damit erledigt. Dann marschierte sie quer durch die Eingangshalle zum schlaksigen Schuppenkratzer und umarmte ihn in Todesverachtung. »Na so was! Matthew! Wie geht’s, altes Haus? Danke, dass du so kurzfristig kommen konntest!« Matthew sah aus, als wär’s plötzlich Weihnachten, wurde jedoch rot, als er Joshs durchdringenden Blick auf sich fühlte.
Amelie wollte den Mann so schnell und effizient wie möglich wieder loswerden. Wenn das ihr zweites Date war, dann sollte es, wenn es nach ihr ging, ebenfalls höchstens drei Minuten dauern. Entschlossen sagte sie: »Komm, wir gehen kurz
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