Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
immerhin Erklärung genug für sein Hiersein.
»Also, was war deine letzte Rolle? Oder ist das eine zu aufdringliche Frage?« Doch in diesem Moment wurden sie rüde unterbrochen. Die Glocke läutete das Ende der Pause und die zweite Runde Speed-Dating ein.
»Mist. Zurück in die Arena«, sagte Charlie mit merklich enttäuschter Miene.
Amelie blickte zu diesem atemberaubenden, scheinbar perfekten Mann hinauf – der noch zu haben war! – und konnte nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern. Komisch, aber in gewisser Weise hatte sie diesen Mann ganz natürlich kennen gelernt, denn sie hatten ihre offiziellen drei Minuten ja noch gar nicht gehabt. Schon jetzt fand sie es so leicht, so locker sich mit ihm zu unterhalten, sie hätte den ganzen Abend hier mit ihm stehen können und nicht wieder hineingehen. Wenn er also nicht von Fast Love eingeschmuggelt worden war, dann musste er sicher eine Art Psychopath sein, oder? Ein Sadomasochist. Ein religiöser Fanatiker. Oder vielleicht sogar ein Spion von einer rivalisierenden Speed-Dating-Firma. Ja, genau, das musste es sein! Im Ernst, der Mann war zu schön, um wahr zu sein. Irgendwas musste mit ihm nicht stimmen. Warum sonst sollte er ausgerechnet sie anmachen? Nun, wie auch immer, sie nahm sich vor, sich ihre Fragen sorgfältig zu überlegen und so viel wie möglich aus ihren drei Minuten mit ihm herauszuholen.
Charlie schüttelte seine Jacke ab und hielt die Tür für sie auf. »Ich würde viel lieber hier draußen bleiben und heimlich mit Amelie rauchen, aber ich fürchte, wir kriegen eine Strafarbeit, wenn wir nicht wieder reingehen«, scherzte er. »Und dich haben sie sowieso schon auf dem Kieker, du musst also vorsichtig sein.«
»Ja, du hast Recht. Ich gehe besser rein und stürze mich ins ›Vergnügen‹. Aber ich werde dich sicher in Bälde im Rotationsverfahren wiedersehen«, sagte Amelie.
Charlie machte die Tür hinter ihnen beiden zu und warf einen Blick auf seine Uhr. »Ja, in ungefähr fünfundvierzig Minuten, wenn ich mich nicht irre.«
Amelie musste grinsen. Schön, dass er sich die Mühe gemacht hatte, das auszurechnen – auf der Basis ihrer beiden Nummern. Geschmeichelt nahm sie vor einem ziemlich unattraktiven Burschen namens Kevin Platz.
Nach Kevin, der sich nach geistiger Wertschätzung sehnte, kam ein Börsenmakler, der sich mit einem festen Händedruck und den folgenden Worten vorstellte: »Donnie. Derzeitiges Einkommen mehr als hundert Riesen. Sondervergütungen extra. Wie geht’s?«
Drei extralange Minuten später fand sich Amelie unversehens einem Manuel-Verschnitt aus der Serie Fawlty Towers gegenüber. Während sie ihren Stift beiseitelegte und einen kräftigen Schluck von ihrem dritten Drink nahm, blickte ihr Carlos seelenvoll in die Augen. »Wir kennen uns? Aus einem früheren Leben, sí?«
Amelie musste an sich halten, um nicht zu lachen. Lächelnd sagte sie – da ihr nichts Besseres einfiel: »Wer weiß, vielleicht...« Dann gab sie sich einen Ruck und rief sich energisch den Grund für ihr Hiersein ins Gedächtnis. »Also, Carlos«, sagte sie, »was hältst du von Speed-Dating?«
»Tja«, sagte dieser, einen Moment überlegend, »ich finde es gut. Es hilft, ein bisschen mehr Liebe auf der Welt zu verbreiten, sí?«
»Und, glaubst du, es wird sich halten?«, fragte sie, vier Minuten später, Gerald aus Neuseeland. »Meinst du, es könnte eine globale Mode werden?«
»Vielleicht«, sagte Gerald, ein stämmiger Mann mit einem warmen Lächeln und zurückweichendem blondem Haaransatz.
»Obwohl, es ist nicht gerade romantisch, oder? Aber vielleicht eine ganz gute Methode, um etwas über die Welt, über Menschen zu lernen. Ich meine, von einem soziologischen Standpunkt aus ist es ausgesprochen faszinierend.«
»Ja, ich verstehe was du meinst«, sagte Amelie. »Bist du Soziologe?«
»Nein, ich bin Filmregisseur. Weißt du, ich denke allmählich, dass dies alles einen wunderbaren Kurzfilm abgeben könnte – oder einen richtigen Spielfilm, wenn das Skript gut genug ist.«
Amelie lachte zustimmend. »Vielleicht solltest du dir Notizen machen – zur Recherche.«
»Ja, gute Idee.« Gerald schaute Amelie an und man konnte förmlich sehen, wie er sie im Geiste ankreuzte. »Und weißt du, was ich mir noch gedacht habe? Ist das nicht typisch London, das hier? Ich meine, so was, wie das hier, kann man sich kaum in, sagen wir, Newcastle vorstellen. Oben im Norden brauchen sie keine Nachhilfe in Sachen Kontaktsuche, die können das
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