Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
Vorstellung hinwegfegen zu lassen, ihm nachzugeben, sich einwickeln zu lassen.
Zehn Minuten später saß sie in der U-Bahn nach Hause und kritzelte in ihr Tagebuch:
Ein unglaublich lustiger Abend. Charlie ist wirklich reizend! Will ihn definitiv wiedersehen. Aber er ist schon ein ausgefuchster Schauspieler! Wie er den vedrucksten Verführer gespielt hat – beinahe hätte er mich zum Nachtisch gehabt! Schauspieler. Mir wird allmählich klar, dass es keinen Berufsstand gibt, der sich besser auf die Kunst der Drei-Minuten-Präsentation versteht.
11. KAPITEL
Wenn man es am wenigsten erwartet
Am nächsten Tag saßen Amelie und Duncan eifrig schreibend und zeichnend über ihre Schreibtische gebeugt. Endlich waren die Räder der Kreativität knirschend in Gang gekommen. Sämtliche Wände waren mit Zetteln voller Slogans, Ideen oder Cartoons bepflastert. Der Boden dagegen war ein Abfallhaufen bestehend aus halb leeren Kaffeetassen und Pizzaschachteln, dazwischen ebenfalls vollgekritzelte Blätter.
»Also gut«, sagte Duncan und blickte zu Amelie hinüber. »Eigentlich wollen wir doch sagen, sitz nicht rum und warte.« Ganz wie Rolf Harris zeichnete er, während er sprach. »Also, hier hätten wir Harry, den Pizzalieferanten, mit einer Quattro Stagione unter dem Arm.« Duncan legte den Kopf schief, während er Harry mit seiner fiktiven Pizzaschachtel, der gerade von seiner Vespa abstieg, Leben einhauchte.
Amelie, der nicht ganz klar war, worauf Duncan eigentlich hinauswollte, blickte kopfschüttelnd auf; sie fürchtete, dass er sich wieder in einer seiner typischen, vielgewundenen Sackgassen verlieren könnte.
»Und hier haben wir Billy, den Postboten, wie er sich mit seiner Tasche voller Briefe durch die Straßen schleppt. Die Sonne ist noch nicht mal aufgegangen.« Duncan malte Billy.
»Und dann wäre da noch....« Duncan blickte auf – ihm war die Munition ausgegangen. »Am, wer noch?«
»Ich weiß nicht, worauf zum Teufel du hinauswillst, Duncan«, sagte Amelie gereizt.
»Doch, natürlich. Komm schon, spiel mit. Nur Geduld, wir kommen schon hin. Was gibt es noch für Leute, die in unserem Leben kommen und gehen?«
Amelie setzte sich, plötzlich interessiert, auf. »Du meinst, ohne dass wir unsere Wohnung verlassen?«
»Nein, das meine ich nicht«, sagte Duncan, »ich meine all die Leute, denen wir im Laufe des Tages flüchtig begegnen – daheim und auf der Straße.«
»Ah – jetzt verstehe ich!« Amelies blaue Augen wurden ganz groß. »Du meinst, wir sollen uns den Tag einer typischen einsamen Seele vergegenwärtigen – sagen wir mal einer Frau. Was sie so an einem ganz normalen Tag tut. Was für Leuten sie begegnet. Und keiner davon wird auf sie zukommen, sie ansprechen, keiner davon ist der Richtige, ist ihre ›andere Hälfte‹. Damit das passiert, muss sie schon ein bisschen was tun.«
»Ja, so ähnlich«, sagte Duncan. »Also gut«, meinte Amelie, plötzlich inspiriert, »wie wär’s dann mit einem Mann in der U-Bahn? Er setzt sich neben sie; sie bewundert ihn einen Moment lang, tauscht einen intensiven Blick mit ihm. Sie denkt, das könnte er sein!, sie stellt sich vor, wie sie heiraten, plant im Geiste schon ihre Hochzeit, ihre Fantasie läuft mit ihr davon... aber dann steigt er an der nächsten Haltestelle plötzlich aus und weg ist er. Sie sieht ihn nie wieder. Die Wahrheit ist, dass die Liebe heutzutage nicht einfach auf einen zukommt. Man muss rausgehen und sie aktiv suchen.«
»Ja, genau das ist es!«, rief Duncan, der sich freute, dass Amelie endlich kapiert hatte. »Aber was für ein Text fällt dir zu diesem Szenario ein, o Wortkünstlerin?«
»Äh, weiß nicht. Eigentlich bin ich mir gar nicht sicher, ob diese Idee nicht doch zu offensichtlich ist, zu alt, zu ausgelutscht. Aber wir wollen sie trotzdem mal festhalten.« Amelie nahm einen Schluck schwarzen Kaffee. »Wie wär’s mit drei richtig gut gemachten Postern von diesen drei sogenannten ›Chancen‹: der Pizzalieferant, der Postbote und der Mann in der U-Bahn. Und darunter, unter jedem Bild, die Worte, ›Nicht der Richtige?‹ Oder so was, wie ›Der nicht‹. Und dann, auf dem dritten Bild, kommt der Hinweis auf Fast Love. Ja, ich glaube, das ist unsere Botschaft, das ist es, was wir – dezent! – rüberbringen wollen: Dass man, anstatt auf den Richtigen zu warten, rausgehen, zum Speed-Dating gehen soll, damit es endlich passiert.«
Amelie hielt inne und nahm ihren Stift zur Hand, während Duncan nachdenklich
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