Keine halben Küsse mehr!: Roman (German Edition)
deiner kostbaren Zeit schenken!«
Amelie hatte das Gefühl, gleich explodieren zu müssen. »Da redet der Richtige! Ich habe, seit wir uns kennen, keine fünf Minuten mit dir quatschen können, ohne dass wir auf dich, deinen Beruf, deinen Agenten oder die Agentur, bei der du gerne wärst, zu sprechen gekommen wären! Charlie, du bist ein netter Kerl, aber mir ist noch nie jemand untergekommen, der derart egoistisch und ich-bezogen ist wie du!«
Charlies Miene verzerrte sich angewidert; es war offensichtlich, dass er kein Wort begriffen hatte. »Ach, das sagst ausgerechnet du.« Er schüttelte den Kopf, wurde sichtlich wütender. »Weißt du was? Ich dachte, du wärst richtig nett, als ich dich kennen lernte, aber diese neue Amelie Holden – nein, die gefällt mir gar nicht! Ich will dir was sagen: Speed-Dating ist Scheiße! Und du kannst mich ruhig in deiner blöden Werbekampagne zitieren. Steck dir das Speed-Dating doch sonst wohin, Amelie! Streich das – steck dir unsere Beziehung sonst wohin! Mit der Nummer 27 hast du’s dir jedenfalls verscherzt.«
Und mit diesen Worten stakste er in die Küche, um sich seine Tüte mit Brownies wiederzuholen. Dann, auf dem Weg zur Tür, trampelte er absichtlich über ihre Blätter und fegte sie in alle Richtungen, was er offenbar für einen äußerst dramatischen Effekt hielt. Amelie starrte ihn mit offenem Mund an. Er riss seine Zeitung an sich und stürmte aus der Wohnung, wobei er die Haustüre so heftig zuschlug, dass die Wände wackelten. Amelie ließ sich verblüfft aufs Sofa sinken. Sie war erschüttert. Noch größer jedoch war ihre Erleichterung.
Kurz darauf versank Amelie wieder in ihrer Reklameblase und versuchte, nicht an die Ereignisse der letzten beiden Stunden zu denken. Sie wusste, sie war gemein gewesen, aber sie wusste auch, dass sie Charlie inzwischen derart über hatte, dass ihr nicht mehr klar war, warum sie ihn überhaupt noch hatte sehen wollen. Sie kannte jetzt seine Masche, und jetzt, wo sie das wusste, wurde ihr auch klar, dass sie sich überhaupt nur in Charlie, den Schauspieler verliebt hatte – in Orlando, Septimus, wen auch immer – und nicht in den wahren Menschen, der sich hinter der Fassade verbarg. Für diesen Menschen war sie nicht die Richtige und er gewiss nicht für sie.
Belustigt erinnerte sie sich an ihre festen Vorsätze vom Jahresanfang. Wie sie in dieser Bar in Hoxton gesessen und Claire geschworen hatte, sie würde sich heuer ausschließlich auf ihre Karriere konzentrieren. Und was hatte sie gemacht? Sich mit Männern getroffen, ein Date nach dem anderen. Und keins hatte was gebracht. Keiner der Bewerber war auch nur annähernd für den Posten des »Richtigen« geeignet gewesen. Nein, sie hatte von Anfang an Recht gehabt: Dieses Jahr war das Jahr ihrer Karriere. Und nächstes Jahr könnte sie sich vielleicht wieder der Suche nach der Liebe widmen. Im Moment jedoch wartete Arbeit auf sie.
Je verbissener Amelie schuftete, desto klarer wurden ihr zwei bittere Wahrheiten:
1. Sie konnte nicht zeichnen.
2. Sie konnte diese Präsentation unmöglich allein auf die Beine stellen.
So sehr es sie auch schmerzte, es ließ sich nicht ändern. Selbst nach all der Arbeit, die sie sich bereits gemacht hatte, und obwohl die Essenz der Ideen so real war, war die eigentliche Ausführung die reinste Katastrophe. Sie wusste, dass sie allmählich auf eine ernste Krise zusteuerte. Sie konnte unmöglich morgen früh mit all diesen halbgaren Ideen und unmöglichen Zeichnungen und Kritzeleien auftauchen. Andererseits – wie konnte sie aufgeben, ohne alles, wirklich alles, versucht zu haben?
Seufzend schaltete Amelie ihr Handy wieder ein. Halb hoffte sie, dass Duncan ihr eine Nachricht hinterlassen hatte, dass es ihm leidtat und er ihr doch noch helfen wollte. Aber alles was sie vorfand, war eine SMS von ihrer Mutter, die sich besorgt fragte, wieso sie so lange nichts von sich hatte hören lassen. Amelie bekam ein ganz schlechtes Gewissen, aber sie wusste ja, dass morgen Abend alles vorbei sein würde und dass sie dann anrufen und es wieder gutmachen konnte. Stattdessen rief sie Duncan an, doch es war nur der Anrufbeantworter dran. Sie überlegte, ob sie ihm draufsprechen sollte, hängte dann jedoch auf, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Jetzt gab es nur noch einen Menschen, der ihr helfen konnte und wohl auch wollte.
Sie blätterte ihr Adressbuch durch und wählte die Nummer. Er ging nach dem dritten Klingeln ran.
»Hallo?«
»Hi!
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