Keine Kuesse für den Boss
Dinge nie schwarz und weiß waren – und dass es sehr schwer war, einem geliebten Menschen etwas Schmerzliches mitzuteilen. Auch wenn das Verhalten seiner Mutter nicht richtig gewesen war, so hatte sie ihn und Samuel schützen wollen, das verstand er nun. Und da er sich gerade nichts mehr wünschte als eine zweite Chance, konnte er doch selbst auch großmütig sein.
„Das wäre toll, Alex“, sagte Patrick leise. „Vielen Dank.“
„Ich dachte, du wärst schon vor Tagen wieder nach Australien zurückgeflogen.“
Dani saß in einem Café am Meer und blickte starr in eine Schüssel voller Zuckertütchen, als sie Lorenzos Stimme hörte.
Die Miene von Alex’ bestem Freund war so undurchdringlich wie immer, dennoch strahlte sie Missbilligung aus.
„Ich fliege morgen.“ Vorher hatte Dani noch etwas erledigen müssen.
„Dann musst du heute mit ihm reden.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Er hat mir nur einen Gefallen getan, weil er wegen der Sache mit dem Video ein schlechtes Gewissen hatte.“
Alex war einfach seinem Pflichtgefühl gefolgt, und weil er unter so großer Anspannung gestanden hatte, war alles ein wenig außer Kontrolle geraten.
„Seit ich Alex kenne – und ich kenne ihn schon ziemlich lange –, hat er noch nie etwas getan, was er nicht wollte“, entgegnete Lorenzo. „Und er hat auch noch nie zuvor eine Frau bei sich einziehen lassen. Er war immer sehr bedacht darauf, keine falschen Hoffnungen zu wecken.“
Ja, dachte Dani. Für ihn war alles „nur Sex, nur Spaß“.
„Du hast einen ganz falschen Eindruck von ihm.“ Lorenzo setzte sich neben sie. „Es gefällt mir nicht, dass es meinem Freund so schlecht geht. Und du wirkst auch nicht gerade glücklich.“
Nein, denn für Dani war es weit mehr als nur Sex gewesen: Die Zeit mit Alex hatte ihr alles bedeutet. Noch immer war der letzte Funke Hoffnung nicht ganz erloschen, und Lorenzos Worte fachten ihn erneut an. „Meinst du, es war ihm ernst mit mir?“
„Das solltest du ihn wohl lieber selbst fragen.“
Danis Herz klopfte wie verrückt. Würde sie das fertigbringen? Mit einem Mal begriff sie, wie mutig ihre Mutter gewesen war, die immer wieder riskiert hatte, dass man ihr erneut das Herz brechen würde.
Dani hatte so lange darum gekämpft, stark und unabhängig zu sein. Doch jetzt wurde ihr klar, dass sie in Wirklichkeit ein Angsthase gewesen war – genau wie Alex gesagt hatte. Ob er auch noch in Bezug auf andere Dinge recht gehabt hatte?
Sie dachte an Jack, dessen Leben viel zu früh geendet hatte. Und auch ihre Mutter war viel zu früh gestorben. Also musste Dani um dieser beider Menschen willen mutig sein und das Risiko eingehen.
Sie atmete tief ein und fragte Lorenzo: „Darf ich dich um einen Gefallen bitten?“
Alex machte wieder Überstunden. Es war schon nach neun, als er auf den Balkon seines Büros ging. Dass es dunkel und kalt war, kümmerte ihn nicht. Vielleicht würde der pfeifende Wind die innere Stimme übertönen, die ihn wütend anschrie, weil er alles so vermasselt hatte. Und dann gab es da noch eine leisere Stimme, die fragte, wie er das Ganze nur wieder in Ordnung bringen sollte. Doch nichts konnte den furchtbaren Schmerz mindern, der ihn erfüllte.
Als Alex schließlich durchgefroren wieder hineinging, klingelte sein Handy, das auf dem Schreibtisch lag. „Was?“, fragte er nur.
„Wo warst du?“, herrschte Lorenzo ihn an.
Erstaunt zog Alex die Augenbrauen hoch. „Draußen.“
„Ohne dein Telefon ?“
Nie zuvor hatte Lorenzo so aufgebracht und emotional geklungen. Vor Schreck wurde Alex ganz kalt. „Was ist denn los?“
„Sie hat mich angerufen, um das Ganze zu arrangieren. Aber jetzt ist sie schon seit einer Ewigkeit da drin!“, rief Lorenzo. „Ich habe dir den Link per Mail geschickt. Schließlich solltest du ja eigentlich am PC sitzen und arbeiten, anstatt dich draußen herumzutreiben!“
Alex klickte auf den Link: eine Live-Webcam. Das konnte doch nicht wahr sein!
„Du solltest dich besser langsam in Bewegung setzen, Alex“, sagte Lorenzo. „Sie wartet schon seit einer Viertelstunde und glaubt wahrscheinlich, du würdest gar nicht mehr kommen!“
Alex fluchte. Dann warf er das Handy hin und rannte los.
Welcher dahergelaufene Fernsehpsychologe hatte eigentlich behauptet, man könne seine Ängste besiegen, indem man sich ihnen stellte? Auf Dani traf das jedenfalls nicht zu. Im Gegenteil: Mit jeder Sekunde, die verging, wurde es schlimmer. Unwillkürlich malte sie sich aus, wie
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