Keine Lady fuer Lord Strensham
gutes Saatgut leihen, ohne auf sein hartnäckiges Nein zu achten.“
„Das muss ihm Verdruss bereitet haben“, sagte Lydia mitleidig.
„Oh ja. Er hasst es, jemandem etwas zu schulden, und ist der dickköpfigste Esel, den ich kenne.“
„Im Gegensatz zu seinem Cousin“, schmeichelte seine liebevolle Gattin und war es erst einmal zufrieden, das Thema fallen zu lassen und die restliche Nacht sehr viel angenehmer und ohne viele Worte zu verbringen.
9. KAPITEL
Marcus lag, lange nachdem der übrige Haushalt sich zurückgezogen hatte, hellwach in seinem Bett und versuchte, das Unmögliche zu begreifen. Seine lächerliche Besessenheit von Hetty Smith musste unverzüglich aufhören. Doch selbst wenn er sein Verlangen nach dieser kleinen Sirene unterdrücken konnte, blieb sie ihm ein Rätsel.
Widerwillig hatte sie zugeben müssen, schreiben und lesen zu können. Also war sie damals in der Bibliothek tatsächlich in ein Buch vertieft gewesen. Und folglich konnte das bescheidenste aller Dienstmädchen im Haushalt der Darraines tatsächlich Vergil im Original lesen. Allerdings hätte sich keine ältere Dame, so freundlich sie auch gewesen sein mochte, je die Mühe gemacht, einem Findling die klassischen Sprachen beizubringen.
Unvermittelt setzte er sich im Bett auf und blickte in die Dunkelheit hinaus, einen leisen Fluch auf den Lippen. Jetzt, da er nicht von ihrer verführerischen Gegenwart abgelenkt wurde, erkannte er plötzlich, dass Hetty ebenso wenig an das Leben eines hart arbeitenden Bediensteten gewöhnt war wie er. Seit jener ersten Nacht in der Hütte hatte sie ihm vielmehr schamlos nur Lügen aufgetischt.
Nun brauche ich nur noch herauszufinden, sagte er sich grimmig, was eine Dame von Stand dazu verleiten mag, ihre gute Erziehung zu vergessen und sich freiwillig als Dienstmädchen zu verdingen. Dann kann ich vielleicht endlich einschlafen.
„Es ist etwas Schockierendes geschehen, Marcus! Oder hast du es schon gehört?“, fragte Lydia am folgenden Morgen und vereitelte so seine Absicht, sich für einen Morgenritt ungesehen aus dem Haus zu schleichen.
„Unser werter Prinzregent hat seine Schulden bezahlt“, antwortete er leichthin.
„Natürlich nicht, du Esel. Eher stürzt der Himmel ein.“
„Was könnte dich dann so aufregen, dass du schon vor zehn Uhr auf den Beinen bist, Lydia? Und beeile dich bitte, ich möchte mir mit Ned und dem Verwalter die Ländereien anschauen. Wir würden eigentlich gern anfangen, bevor es dunkel wird.“
„Sehr höflich bist du ja nicht, Marcus“, schmollte sie, fuhr aber aufgeregt fort: „Ich bin ganz außer mir. In letzter Zeit geschehen ständig skandalöse Dinge. Vor einigen Monaten ist doch zum Beispiel eine Miss Hardy spurlos verschwunden, eine reiche Erbin aus London. Du hast sicher davon gehört. Man weiß nicht, ob sie vor einer Heirat mit ihrem Vormund fliehen wollte oder ob sie einen anderen Grund gehabt hat. Vielleicht hat man sie ja auch entführt. Und was ist gestern Nacht bei uns, in unserer nächsten Nachbarschaft geschehen?“, rief sie dramatisch. „Die Nichte des Squire wurde entführt! Als ob das arme Ding nicht schon genug durchzustehen hat mit dem Verlust ihres Mannes. Und dann ist auch noch ihr Kind an Typhus erkrankt.“
Bestürzt sah Marcus sie an. Was konnte die untröstliche Witwe getan haben, um so etwas zu verdienen? Mrs. Townley war nicht nur bettelarm und somit kaum das richtige Opfer für einen Entführer, der es auf Lösegeld abgesehen hatte, sondern verließ auch kaum je das Herrenhaus ihres Onkels, nicht einmal, um zur Kirche zu gehen.
„Wie viel wird verlangt?“
„Das ist ja das Seltsame. Sie wurde gestern Abend aus Squire Banks’ Garten verschleppt, doch eine halbe Stunde später fand man sie in der Nähe der Gemeindewiese wieder. Natürlich war die Ärmste völlig hysterisch, wie nicht anders zu erwarten. Dieser komische Mann, der im ‚Crown‘ abgestiegen ist, hat sie entdeckt. Carter heißt er, glaube ich.“
„Haben sie die Konstabler über den Vorfall unterrichtet?“
„Aber ja, doch die fanden keine Hinweise, und von der armen Mrs. Townley bekommen sie kaum ein vernünftiges Wort heraus. Sie konnte nur sagen, die Männer trugen Masken und sprachen nicht. Wir müssen zumindest dem Himmel danken, dass sie ihr nichts angetan haben.“
„Ja“, erwiderte Marcus grimmig.
Er überlegte angestrengt. Hinter dieser Geschichte steckte mehr als nur eine verpfuschte Entführung. Ohne sich genau erklären zu können,
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