Keine Lady fuer Lord Strensham
ihrer Finger nachgab. Ein Paneel ließ sich beiseiteschieben. Mit zitternder Hand holte Thea ein Papier heraus und reichte es Marcus.
„Es ist also doch wahr“, rief sie begeistert. Seine finstere Miene erhellte sich jedoch nicht. „Soll ich dich allein lassen, damit du es lesen kannst?“
Er überflog rasch den Inhalt des Papiers und zuckte die Achseln. Sein strenger Blick traf Thea wie ein Schlag ins Gesicht. „Du musst dir ja wirklich verzweifelt wünschen, mich zu verlassen, wenn du solchen Hirngespinsten nachjagst.“
Gleichgültig gab er ihr das Papier, und Thea betrachtete es bedrückt. „An dieser Sache ist sehr viel mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist, Marcus.“
„Hier steht nur blanker Unsinn.“
„Ja, aber vielleicht wollte dein Großvater bewusst diesen Eindruck erwecken. Stell dir nur einmal vor, dein Vater hätte es gefunden.“
„Man kann wohl davon ausgehen, dass er es verbrannt hätte.“
„Dein Großvater ist ein beachtliches Risiko eingegangen. Irgendwie muss er geglaubt haben, du würdest seine Nachricht verstehen.“
„Ich war so bekümmert und besorgt um die Zukunft meiner Familie, ich schenkte nichts und niemandem Aufmerksamkeit.“
„Aber jetzt siehst du sicher, wie wichtig dieses Papier sein könnte.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, las sie langsam vor:
Der liebsten Tochter sehr gefiel
Des flinken Amor Leierspiel.
Doch die üble, finst’re Wahrheit:
Sie starb durch Rebellen Bosheit.
Mammon konnte nicht verhindern
Den gemeinsten Mord von allen.
Sollt’ ihre Saite dir gefallen,
Wird dein Schicksal sie verändern.
„Selbst ich begreife, dass es irgendwie um Musik geht“, stellte Thea fest.
„Meine Tante Lavinia war sehr musikalisch, und Musik sei ja der Liebe Nahrung, wenn man Orsino in Shakespeares ‚Was Ihr Wollt‘ Glauben schenken darf. Mit den Rebellen meint Großvater die französischen Revolutionäre, die Tante Lavinia auf dem Gewissen haben. Und die Saite, von der er spricht, muss ein Hinweis auf die Viola da Gamba sein, die meine Tante gern spielte. Es ist ein Instrument aus dem 16. Jahrhundert, das sich noch immer in der Instrumentensammlung meines Großvaters im Musikzimmer befinden muss.“
„Dann lass uns dort hingehen.“ In ihrer Aufregung machte Thea sich schon auf den Weg, ohne auf Marcus zu warten. Es schien ihr klüger, seine finstere Miene nicht zu beachten.
„Welches dieser historischen Instrumente ist nun eine Viola“, überlegte sie, als auch Marcus sich nach einer Weile zu ihr gesellte.
„Dieses hier“, erwiderte er und griff nach dem ersten Instrument, das zusammen mit vielen anderen an der Wand hing. Während er es untersuchte, beobachtete Thea ihn ungeduldig.
„Du kannst es kaum erwarten, deine Freiheit wiederzuerlangen, was?“, fragte er, fasste hinein und förderte ein weiteres Papier zutage.
„Das habe ich nie behauptet“, antwortete sie knapp und bedeutete ihm ungeduldig, sich das Papier anzuschauen.
„Wie du willst. Aber darüber müssen wir uns noch unterhalten.“
„Bitte lies endlich vor, Marcus“, bat sie ihn erschöpft. Der Gedanke, sich von ihm trennen zu müssen, war in diesem Moment mehr, als sie ertragen konnte.
Marcus entfernte sich von ihr, angeblich, um das Licht vom Fenster zu nutzen, doch Thea spürte, dass er Abstand zu ihr suchte. Mit tonloser Stimme las er:
Vom Königsbaum blick’ auf dein Reich,
Wo eine Jungfer träumte gleich.
Such’ die göttlichen Kusinen,
Die nun hausen in Ruinen.
Such’ nicht das Glück bei der Vernunft,
Sondern nur der Göttin Weisung.
Musik ist Schlüssel zur Erlösung,
Wo du findest Glück der Zukunft.
„Wieder meine Tante Lavinia, nur, was versucht er uns zu sagen? Der Königsbaum muss die Königinneneiche sein. Da sie allerdings schon vor zwanzig Jahren gefällt wurde, kann er dort nichts versteckt haben.“
„Schachmatt“, bemerkte Thea mutlos.
„Nein, nur Schach. Das Gainsborough-Porträt meiner Tante wird uns weiterhelfen.“
Im Salon fielen die Strahlen der Herbstsonne auf das wunderschöne Gemälde, auf dem die glücklose Lavinia, an einen riesigen Baum gelehnt, so lebendig aussah, als könnte sie jeden Moment zu ihnen heruntersteigen.
„Der Schauplatz selbst muss der Schlüssel zu allem sein“, überlegte Marcus. „Also lass uns direkt zu der Stelle gehen, wo die Eiche gestanden hat.“
„Jetzt wirst du meine Hilfe nicht mehr brauchen, Marcus. Ich kann …“
„So leicht lasse ich dich nicht aus den Augen, meine Liebe.
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