Keine Lady ohne Tadel
kann, einer Frau, mit der ich reden und lachen kann?«
Sie erschrak, dann aber hob sie den Kopf und funkelte ihn wütend an. »Willst du etwa mich dafür verantwortlich machen? Nein! Du hast mich entführt, als ich noch blutjung war!«
»Ich war auch eben erst volljährig geworden«, erinnerte er sie. »Wir waren beide jung und dumm, Helene, verstehst du das nicht?« Er schüttelte sie leicht. »Gott weiß, wie gerne ich den Moment ungeschehen machen würde, als ich dich bat, mit mir durchzubrennen. Ich wollte – will – mehr vom Leben, als ich habe! Ich sehe, wie Darby und Henrietta zusammenleben, und ich wünschte –« Er verstummte und wandte sich ab. Es hatte keinen Sinn, dieses Thema weiterzuspinnen. Er sank auf seinen Stuhl, vollkommen erschöpft.
Eine Weile herrschte Stille, dann ließ sie sich unter dem sanften Geräusch ihres wollenen Morgenmantels auf dem anderen Stuhl nieder.
»Du siehst«, sagte sie nach einer Weile, »deinen Freund Darby und seine Ehe und wünschst dir eine Frau, die besser zu dir passt. Eine Frau, die so reizend und hübsch ist wie Henrietta. Wohingegen ich Esmes Baby sehe und neidisch werde, weil ich auch eins haben will.«
»Ich will damit doch nur sagen« – er war so müde wie nie zuvor in seinem Leben – »dass man irgendwann schlicht akzeptieren muss, was geschehen ist. Ich habe einen Fehler gemacht, und Gott weiß, wie sehr ich dafür bezahlen musste.«
»Du musstest dafür bezahlen?«, flüsterte sie fassungslos, ballte ihre zarten Hände zu Fäusten. »Ich bin es doch, die der Lächerlichkeit preisgegeben ist, wenn alle Welt mir von deiner … deiner Opernsängerin berichtet. Ich bin diejenige, die sich ein Kind wünscht und niemals eins haben wird. Ich bin nicht einmal imstande, einen Mann anzulocken, der mich trotz des Skandals heiraten würde! Dein Leben ist doch vollkommen. Du hast deine Musik und deine Sängerin. Und ich glaube keinen Augenblick lang, dass du Henrietta begehrst: Sie ist ja nicht einmal musikalisch.«
»Ich begehre Henrietta keineswegs. Ich will nur … das haben, was Darby mit seiner Frau hat.« Rees lehnte seinen Kopf an die geschnitzte Rückenlehne seines Stuhls. »Da ich ein Narr bin, sehne ich mich nach einer Frau, mit der ich in Gemeinschaft leben kann.«
Nach diesen Worten saßen sie schweigend da.
Helene erwähnte nicht, welches Licht seine letzte Bemerkung auf die Liaison mit der Opernsängerin warf, der Frau, die doch jetzt an ihrer Stelle in Rees’ Bett lag.
Und Rees erwähnte nicht, dass Helene bereits zugegeben hatte, dass Fairfax-Lacy nicht den Mut besitzen würde, ihr während einer Scheidung beizustehen.
Es hatte in ihrer Ehe seltene, aber kostbare Momente der Güte gegeben, doch manchmal war Schweigen die größte Güte von allen.
30
In tiefster Nacht
Es war zwei Uhr morgens. Sebastian war eben erst seine Mutter vor der Tür ihres Schlafgemachs losgeworden. Den ganzen Abend hatte sie von Bällen und Almack’s und anderen Orten geschwatzt, wo er eine passende Ehefrau finden würde. Die auch Kinder bekommen konnte, wie sie immer wieder betonte. Aber Sebastian war an keiner Frau, nicht einmal an einer besonders fruchtbaren, interessiert.
Es kam natürlich nicht infrage, dass er Esme tagsüber aufsuchte. Aber jetzt … war es doch bestimmt spät genug? Das Kind musste längst friedlich in der Kinderstube schlummern, sodass Esme jetzt Besucher empfangen konnte. Sie hatte so viele Qualen ausgestanden. Er musste sie einfach sehen.
Sebastian stieg die dunkle Treppe hinauf und kam sich vor wie ein Mann, der zum ersten Mal zu einer neuen Geliebten geht. Esmes Zimmer war vom Schein des Kaminfeuers hell erleuchtet. Sie saß mitten auf dem Bett und schaukelte vor und zurück, wiegte das Kind in ihren Armen. Ihre Haare hingen ihr auf die Schultern herab. Sie hatte ihn gar nicht gehört.
Leise schloss er die Tür. »Esme«, flüsterte er.
Sie zuckte zusammen und starrte ihn erschrocken an. Sie sah so erschöpft und abgehärmt aus, dass Sebastian erschrak. Er wusste, wie schwer eine Geburt war, aber Esme sah aus, als hätte sie in einer Schlacht gekämpft.
Da vernahm er ein leises Wimmern. Esme warf ihm einen wütenden Blick zu und widmete sich wieder dem Kind. Wie durch Zauberhand fiel der Zorn von ihr ab. Sie beruhigte das Baby mit leisen Gurrlauten, lächelte in das kleine Gesicht und überschüttete es mit Küssen. Natürlich hörte der Kleine sofort auf zu weinen. Vor allem, da Esme ihm nun ihre Brust bot. Sebastian setzte
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