Keine Lady ohne Tadel
Verhalten der Mutter drücke seit Jahren aus, was sie von ihrer Tochter hielt. Doch es schien wenig diplomatisch, das so offen zu sagen. »Ich bin sicher, dass sie dich trotz allem liebt«, versuchte er Esme zu trösten, obgleich ihm zumute war wie einem Verhungernden bei einem Festmahl, weil dieses köstliche Weib auf seinem Schoß saß. »Ich glaube auch, dass meine Mutter mich liebt, obwohl sie das natürlich nie zugeben würde.«
»Aber du warst doch ihr vorbildlicher Sohn! Und wirst es wieder sein. Wenn du vom Kontinent heimkehrst, haben alle den Skandal vergessen, und du kannst wieder der propere Marquis Bonnington sein. Diese versnobten Heuchler!«
»Der werde ich nicht mehr sein. Niemals.«
»Warum nicht?«
»Weil ich keinen Pfifferling mehr darum gebe, ob ich die Frau, die ich liebe, in einem Garten küsse oder in meinem Schlafzimmer. Diese ganze Ehrbarkeit und Schicklichkeit ist doch nur eine Falle, Esme, begreifst du das denn nicht?«
»Nein«, entgegnete sie, war aber insgeheim ein wenig erschüttert von der Inbrunst, mit der er gesprochen hatte. »Ich wünschte nur – oh, wie sehr ich das wünschte –, ich hätte Miles im ersten Jahr unserer Ehe nicht betrogen. Wenn ich mich nicht so skandalös betragen hätte, hätten wir unsere Ehe retten können. Wir hätten zusammenleben und eine Familie gründen können.«
Der Ausdruck seiner Augen erschreckte sie. »Warum? Warum, Esme? Warum Miles?«
»Weil er mein Ehemann war«, erwiderte Esme ernst. Immer wieder kamen sie in ihren Diskussionen auf diesen Punkt zurück. »Ich hätte mein Ehegelübde respektieren sollen«, sagte sie.
»Du hast gelobt, ihn für immer zu lieben. Doch als du ihn geheiratet hast, war er ein Unbekannter für dich. Miles war ein schwacher Mensch, er war liebevoll, aber schwach. Warum willst du mit aller Macht glauben, dass ihr miteinander glücklich geworden wäret?«
»Weil es das Richtige gewesen wäre.« Esme wusste, dass sie wie ein trotziges kleines Mädchen klang. Aber sie musste es ihm begreiflich machen!
»Ach ja, das Richtige«, wiederholte Sebastian müde. »Dagegen kann ich natürlich nicht ankämpfen. Aber wenn du, Esme, dich mit deinem Temperament in deinen Mann verlieben konntest, nur weil es das Richtige war, dann bist du in der Tat eine sehr ungewöhnliche Frau.«
»Ich hätte es zumindest versuchen können!«, protestierte sie mit neu aufflammendem Zorn. »Stattdessen habe ich vor ihm und ganz London mit meinen Affären angegeben.«
Esme verstand ihn einfach nicht. Doch wie sollte er ihr seinen Standpunkt begreiflich machen, ohne dass sie zornentbrannt die Hütte verließ? Er versuchte es. »Deinen Ehemann Miles schienen diese Affären aber nicht sonderlich zu stören.«
»Doch, sie haben ihn gestört!«
Himmel, was war sie stur! »Du hast angefangen, mit anderen Männern zu flirten, um Miles’ Liebe wiederzugewinnen«, konstatierte er. »Töricht, wie er nun einmal war, zog er daraus den Schluss, dass eure Ehe kein Erfolg war. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es ihn sonderlich gekümmert hat. Er war doch in Lady Childe verliebt, und das viele Jahre lang.« Er sprach ruhig, aber mit schonungsloser Aufrichtigkeit.
Esme schmollte eine Weile. »Wir hätten es immerhin versuchen können«, sagte sie schließlich.
»Ihr habt euch doch vor seinem Tod versöhnt«, betonte Sebastian. »Und ihr habt auch, so viel ich weiß, eine letzte Nacht miteinander verbracht.« Er zog sie an seine Brust. »Und – wie war diese Nacht? War sie leidenschaftlich?«
Esme barg ihr Gesicht an seinem groben Hemd. »Mach dich nicht über Miles lustig«, warnte sie. »Er war mein Mann, und ich hatte ihn sehr gern.«
»Ich würde mich niemals über Miles lustig machen. Aber ich glaube nicht, dass ihr beide eine erfolgreiche Ehe geführt hättet.«
»Vielleicht nicht. Vermutlich nicht. Ich fühle mich nur so … ich schäme mich so sehr!«, klagte Esme. »Ich wünschte, ich hätte ihn nicht so schlecht behandelt. Das wünschte ich wirklich!«
Sebastian hatte wieder begonnen, sie zu küssen. Langsam bewegten sich seine Lippen auf ihren Mund zu. Urplötzlich hatte Esme es satt, über ihre traurige Ehe und ihren schlechten Ruf zu klagen. »Weißt du noch, wie du mich immer beobachtet hast?«, fragte sie mit heiserer Stimme. Sebastians große Hände hinterließen kribbelnde Spuren, wo immer sie sie berührten. Er war so schön mit seiner glatten Haut und seinem dichten Haar. Sie verschlang ihn mit ihren Blicken.
Warum dachte
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