Keine Lady ohne Tadel
bin sehr erfreut über unser Wiedersehen.«
»Wir lernten uns bei einem Dinner kennen, das Lady Rawlings vor ein paar Monaten gegeben hat«, erklärte Mrs Cable an Bea gewandt.
»Oh, wie nett!«, stieß Bea atemlos hervor. Es gefiel ihr ausnehmend gut, die Rolle der sittsamen Jungfer zu spielen. Eine ganz neue Erfahrung nach ihren Jugendjahren, in denen sie versucht hatte, ihren Vater mit allerlei Possen in den Wahnsinn zu treiben.
»So nett war es gar nicht«, berichtete Mrs Cable düster. »Ich wage zu behaupten, dass auch Sie, Lady Godwin, mit Abscheu an dieses Dinner zurückdenken. Es war einfach skandalös!«
Bea faltete fromm die Hände und machte große Augen. Stephen war bereits auf dem Weg zu ihrem Tisch, und sie wollte, dass er diese Zurschaustellung mädchenhafter Unschuld sah. »Oh, was mag da nur geschehen sein!«, rief sie in dem Moment aus, als Stephen bei ihrem Tisch anlangte.
Helene, der Beas plötzliche Wandlung aufgefallen war, bedachte ihre Nachbarin mit einem ironischen Blick. »Nichts, was Sie nicht übertreffen würden, Bea.«
Der Puritaner sorgte für Ablenkung, indem er sich verneigte und Mrs Cable seinen Namen nannte. Sie schien von der Vorstellung, mit einem Abgeordneten den Tisch zu teilen, schlicht hingerissen zu sein.
Bea war ein wenig enttäuscht, weil Stephen nicht einmal stutzte, als sie ihn mit einem Jungmädchenkichern begrüßte. Stattdessen verneigte er sich wie vor einem Schulmädchen, wandte sich sodann der Gräfin von Godwin zu und küsste ihr die Hand.
»Der Earl of Godwin war natürlich auch mit von der Partie«, teilte Mrs Cable der Runde mit. »Mr Fairfax-Lacy, wir sprachen gerade über ein unglückseliges Dinner, das vor einigen Monaten in diesem Salon stattfand und bei dem Gräfin von Godwin und meine Wenigkeit zugegen waren. Ich möchte jedoch mit Rücksicht auf die Anwesenden nicht auf Einzelheiten eingehen.« Sie warf Bea einen mütterlichen Blick zu. Die musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu schmunzeln, und schaute züchtig auf ihre Hände.
Als Stephen sah, wie Bea die Augen niederschlug, hätte er sich am liebsten vor Lachen ausgeschüttet. Sie war ein Luder, wahrhaftig! Es lag nicht nur an dem Kleid, das ihr das Aussehen einer Nonne verlieh. Sie hatte auch mit ihrem Gesicht etwas gemacht, wodurch sie so unschuldig wirkte wie ein Baby. Weder zwinkerte sie schelmisch, noch warf sie wollüstige Blicke. Sie hatte sich die Aura und die Unschuld einer Heiligen zu eigen gemacht, und nur ein kleines Grübchen in ihrer Wange verriet, dass sie sich köstlich amüsierte. Abgesehen von diesem Grübchen jedoch war sie der Inbegriff einer braven Herzogstochter. Falls es so etwas in England überhaupt noch gab.
»Ihr Mann hat vielleicht erwähnt«, sagte Mrs Cable an Lady Godwin gewandt, »dass wir ein paar deutliche Worte über die Ehe gewechselt haben. Keiner von uns hat sich dabei im Ton vergriffen, Gott behüte! Aber ich denke, ich habe ihm meinen Standpunkt klargemacht.« Sie lächelte triumphierend.
Helene lächelte dünn und trank einen Schluck Wein. »Nicht, dass ich wüsste. Vermutlich ist es ihm entfallen.«
Bea bewunderte die Gelassenheit der Gräfin. Sie hätte vermutlich längst die Geduld verloren und diese Harpyie angefaucht.
Mrs Cable schüttelte den Kopf. »Ein Mann soll Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, so heißt es in der Bibel.«
»Leider Gottes ist Rees berüchtigt für seine Missachtung von Autoritäten«, erwiderte Helene.
Bea erkannte, mit welch schwachen Mitteln Helene sich zu verteidigen versuchte, und wurde von Zorn erfasst. Wer war diese alte Xanthippe, und welches Recht hatte sie, Helene dermaßen zu beleidigen?
Mrs Cable wandte sich nun an Stephen. »Gewiss nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich so spreche, als wären wir alle alte Freunde. Ich habe, seit ich mit Lady Godwins Mann diniert habe, eingehend über ihre Situation nachgedacht.« Mit vollkommenem Gleichmut trank sie einen Schluck Wasser.
Helenes schlanke Hand, sah Bea, war so krampfhaft um die Serviette geschlossen, dass ihre Knöchel hervortraten. »Haben Sie gerade aus der Genesis zitiert, Mrs Cable?«, gurrte sie.
Mrs Cable bedachte sie mit einem anerkennenden Blick, ganz so, wie eine Rektorin eine vielversprechende Schülerin ansieht. »Ganz recht, Lady Beatrix. Es ist schön, eine junge Dame kennenzulernen, die wahre Herzensbildung besitzt. Wenn ich Ihnen, Lady Godwin, also einen guten Rat geben …«
»Mein Vater hat immer größten
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