Keine Lady ohne Tadel
Wert auf religiöse Unterweisung gelegt«, fiel Bea ihr keck ins Wort.
»Und er tat gut daran«, erwiderte Mrs Cable. »Nun, ich denke, die Weisheit der Bibel könnte Ihnen von Nutzen sein.« Sie wandte sich wieder an Helene.
Die alte Schlange spürt, dass Helene sich nicht wehren kann,
dachte Bea zornig. »Als ich mich in einen von Papas Lakaien verliebte«, verkündete sie mit hoher, klarer Stimme, »hat er mir zur Strafe aufgetragen, das ganze Buch der Makkabäer auswendig zu lernen.«
»In der Tat«, murmelte Mrs Cable ein wenig konsterniert.
»Ja«, sagte Bea und lächelte ihr lieblichstes Lächeln. »Ich hatte mich nämlich dem Lakaien an den Hals geworfen, und Papa fand, das hätte ich nicht tun dürfen.«
Mrs Cable machte große Augen.
»Aber ich finde das nicht«, fuhr Bea unbekümmert fort. »Denn steht nicht bei Johannes, dass wir unseren Nächsten lieben sollen? Ich meine Kapitel dreizehn«, erläuterte sie und sah Mrs Cable an. »Aber das wissen Sie wohl.« Stephen bebte vor unterdrücktem Lachen. Helenes Hand hatte alles Verkrampfte verloren, und auch sie musste sich ein Lachen verbeißen.
»Ja, ich …«
»Selbst wenn meine Liebe eigenwillig war«, zitierte Bea mit einem rührseligen Zittern in der Stimme, »so bin ich doch sicher, dass sie tugendhaft und reif war.«
»Reif ist hier sicherlich das passende Wort«, warf Stephen trocken ein.
Bea ignorierte ihn. »Natürlich hätte ein Diener mich wohl kaum ernähren können« – dabei schaute sie bescheiden an ihrem Kleid hinab, das mehr gekostet hatte, als ein Lakai in einem halben Jahr verdiente – »aber im Buch der Sprüche heißt es doch, wo Liebe herrscht, sei ein Gericht Gemüse besser als ein gemästeter Ochse. Obwohl ich mich immer gefragt habe, was das eigentlich heißen soll. Mr Fairfax-Lacy, Sie haben doch gewiss während Ihrer vielen Jahre im Parlament mit derlei verzwickten Fragestellungen zu tun gehabt?«
Leider kam Stephen nicht dazu zu antworten, denn Mrs Cable hatte sich von ihrem Schock erholt und betrachtete Bea mit dem Abscheu eines Menschen, der entdeckt hat, dass eine ausgezeichnete Pastete im Innern faul ist.
»Lady Beatrix«, sagte sie, während sie scharf den Atem einzog, »sicherlich ist Ihnen nicht bewusst, welchen Eindruck Ihre kleine Geschichte bei den Anwesenden hinterlassen könnte.« Mit beredtem Blick sah sie in die Runde.
Helene begegnete diesem Blick mit gespielter Arglosigkeit. »Lady Beatrix schafft es doch immer wieder, mich in Erstaunen zu versetzen. Ein Lakai, haben Sie gesagt, Bea? Sie sind wirklich ein abenteuerlustiges Mädchen!«
»Ich weiß nicht, ob ich darin Ihrer Meinung bin«, sagte Stephen gedehnt. Jedes Mal, wenn er Beas Blick begegnete, spürte er eine elektrisierende Gefahr, besonders in den Lenden. Sie war ein durch und durch unverschämtes Weibsstück, und doch gefiel es ihm, wie sie Lady Godwin verteidigte. Dennoch war diese Maskerade einer Sechzehnjährigen vollkommen albern. Ihr Gesicht war viel zu lebendig für den ganzen Unsinn, den sie hier auftischte. »Ich für meinen Teil würde gern erfahren, wie der Lakai eigentlich auf Lady Beatrix’ Annäherungsversuche reagiert hat«, sagte er. »Ist Ihnen das nicht aufgefallen, Mrs Cable? Lady Beatrix hat uns zwar erzählt, dass sie sich ihrem Diener an den Hals geworfen hat, aber wie er darauf reagiert hat, das hat sie uns nicht erzählt. Könnte es vielleicht sein, dass er sie zurückgewiesen hat?«
Mrs Cable schnaubte verärgert. »Mir will nicht im Traum einfallen, wozu wir über so ein widerwärtiges Thema sprechen müssen! Lady Beatrix will uns gewiss nur erschrecken, fürchte –«
»Aber gar nicht!«, protestierte Bea. »So etwas würde ich doch nie tun, Mrs Cable!«
Mrs Cables Augen wurden schmal. »Darf ich denn erfahren, wo sich Ihr Vater zurzeit aufhält, Mylady?«
»In seinem Haus«, antwortete Bea und wurde im Nu wieder zu einem kleinen Mädchen. »Ich bin eine große Enttäuschung für ihn, Mrs Cable. Ehrlich gesagt wohne ich jetzt mit Mrs Withers zusammen.«
Wieder schnaubte Mrs Cable zornig. »Und dieser Lakai …«
»Oh, mit ihm hat das nichts zu tun«, erzählte Bea. »Papa hat ihn aufs Land in eines unserer Anwesen geschickt. Ich war es, die –«
»Ich will das nicht hören!«, kreischte Mrs Cable. »Sie wollen mich zum Besten haben, Mylady, und das ist nicht nett von Ihnen. Ich sehe doch auf den ersten Blick, dass Sie nicht zu diesen skandalumwitterten Frauen gehören, auch wenn Sie das glaubhaft machen
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