Keine Lady ohne Tadel
wollen!«
Helene warf Bea einen warnenden Blick zu und legte Mrs Cable beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Sie haben natürlich vollkommen recht, Mrs Cable. Ständig flehe ich Lady Beatrix an, sich nicht so frivol zu betragen, doch ich muss leider gestehen, dass sie ein rechter Wildfang ist. Aber es ist alles nur ein Scherz, Mrs Cable.«
»Ich wusste es ja«, sagte die Frömmlerin und blinzelte heftig. »Ich bin eine gute Menschenkennerin, wie Ihnen auch Mr Cable bestätigen kann. Lady Beatrix, Sie möchten uns schockieren, können aber Ihre natürliche Unschuld nicht verleugnen. Sie steht Ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Was, haben Sie gesagt, ist das hier?«, wandte sie sich an den Lakaien. »Warmer Gurkensalat? Nun, ich gedenke einen Happen zu probieren.«
Stephen schaute Bea an, und sie erriet seine Gedanken genau. Er dachte an die Ziegenweide – und wie es in Wahrheit um ihre Unschuld bestellt war.
10
Die höchsten Wonnen
Nachdem das Luncheon beendet war, hatte Esme sich darein geschickt, dass die Freunde ihrer Tante nach und nach das Haus besetzten. Keinem ihrer Hausgäste konnte ein besonders guter Ruf nachgesagt werden. Das Nähkränzchen war zweifellos entsetzt über diese Gäste, die Vornehmheit durch zynischen Witz ersetzt hatten. Und da besagter Witz immer und überall angebracht werden musste, war Esmes Haus stets von Gelächter erfüllt.
Man hätte auch sagen können, dass es von Lärm erfüllt war. Lady Arabella hatte die gesamte Haushaltsführung an sich gerissen und schien ihre Fürsorge damit beweisen zu wollen, dass sie vom Speicher bis zum Keller alles auf Hochglanz wienern ließ.
»Ich habe den Dienstmädchen gesagt, dass das Haus von oben bis unten blitzen muss«, teilte sie ihrer Nichte mit. »Genau das würde eine Mutter tun. Dir die Sorgen vom Hals schaffen! Du hast doch wahrlich genug um die Ohren. Wann kommt dieses Kind denn nun endlich?«
Es war ihr gleichgültig, dass Esme der Zustand des Speichers gleichgültig war. Selbst als respektable Landedelfrau konnte Esme Speichern nicht viel abgewinnen. Doch Arabellas Eifer hörte nicht beim Speicher auf. »Ich habe ein paar Männer aufs Dach geschickt, damit sie die Schieferplatten neu befestigen. Ich kann es nicht ausstehen, wenn Gärtner müßig herumsitzen, bloß weil es im Garten nichts zu tun gibt.« Jetzt im März wechselten sich Regen und Sonnenschein in rascher Folge ab.
Esme hatte eher zerstreut zugehört, doch nun wurde sie mit einem Schlag wach. »Du hast die Gärtner aufs Dach geschickt?«
Arabella blinzelte verblüfft. »Hast du denn das Hämmern nicht gehört? Sie haben heute Morgen in aller Frühe angefangen. Mir ist aufgefallen, dass viele Schieferplatten lose sind. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, werden wir bald ein leckes Dach haben. Natürlich wird es ein paar Wochen oder sogar einen Monat dauern. Aber so, wie es ist, kann das Dach nicht bleiben.«
»Es ist nicht sicher!«, rief Esme. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen, und sie fühlte sich plötzlich ein wenig schwindelig.
»Natürlich arbeiten sie sicher«, entgegnete Arabella. »Sie werden bestimmt keine Platte fallen lassen. Die meisten schadhaften Stellen sind ohnehin an der Rückseite des Hauses. Aber vielleicht sollte ich zur Vorsicht einen Lakaien an die Vordertür stellen, damit er jeden warnt, der das Haus verlässt. Ja, genau, Darling, das ist eine ausgezeichnete Idee! Wir haben doch so viele Diener! Ich habe mich wohl geirrt, als ich dachte, dass Personal auf dem Lande schwer zu bekommen sei.«
»Ich meinte damit, dass es für die Gärtner nicht sicher ist«, sagte Esme. Ihr Herz klopfte wie wild. Sebastian war da oben. Auf einem schlüpfrigen Dach, von dem er jeden Moment abstürzen konnte. Wenn ihm etwas zustieß, würde sie es nicht ertragen. Nicht … nicht nach Miles.
»Die Gärtner? Die Gärtner? Die sind vermutlich hocherfreut, an der frischen Luft arbeiten zu können«, sagte Arabella mit einer wegwerfenden Geste ihrer stark beringten Hände. »Ist doch allemal spannender, als Unkraut zu jäten.«
Sie ging, bevor Esme etwas darauf erwidern konnte.
Vielleicht,
überlegte sie,
sollte sie Arabella die Wahrheit über Sebastian gestehen.
Niemand würde so gut verstehen wie Arabella, dass Esme ihren einstigen Liebhaber am äußersten Ende ihres Gartens untergebracht hatte.
Doch nun stieg Panik in ihr auf. Sebastian musste noch in diesem Augenblick vom Dach herunter!
Esme ging nach unten, hüllte sich in einen Umhang und
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