Keine Lady ohne Tadel
Tisch und kam auf sie zu. »Wollen Sie mich nicht Stephen nennen?«
Seine Stimme hatte den vollen, satten Klang, den er wohl immer anwendete, um das Unterhaus in seinen Bann zu ziehen.
»Und darf ich dann Helene zu Ihnen sagen?«
In seinem Mund hatte Helene einen französischen, beinahe exotischen Klang. Sie nickte und nahm am Kamin Platz. Er setzte sich neben sie und schenkte ein. Helene versuchte sich vorzustellen, was als Nächstes geschehen würde. Ob er ganz einfach seine Kleider ablegen würde? Sollte sie sich zur Wand drehen, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen? Wie sollte sie sich ihres Nachthemdes entledigen? Zum Glück schien Mr Fairfax-Lacy – Stephen – vorerst vollauf damit zufrieden zu sein, still dazusitzen.
»Ich habe in solchen Dingen überhaupt keine Erfahrung«, gestand Helene schließlich und nahm einen Schluck. Das scharfe geistige Getränk brannte bis in ihre Magengrube hinab.
Er streckte den Arm aus und nahm tröstend ihre Hand. »So schwer ist das doch nicht, Helene. Sie leben schon seit Jahren nicht mehr mit Ihrem Mann zusammen, nicht wahr?«
»Fast neun Jahre«, gestand Helene und verspürte wieder den vertrauten schmerzlichen Stich. Sie hasste es, ihr Versagen zugeben zu müssen.
»Sie können nicht von sich erwarten, bis zu Ihrem Lebensende ohne Gefährten zu bleiben«, sagte er. Sein Daumen strich sanft über ihren Handrücken, eine tröstliche Berührung. »Tatsächlich bin ich noch keiner Frau begegnet, die ich heiraten wollte. Also bin ich frei zu lieben, wo und wann ich will, und jetzt würde ich gerne Sie lieben.«
Helene spürte die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen. »Ich mache mir nur Sorgen wegen … wegen …« Aber wie konnte man fragen, wann der andere einen zu verlassen gedenke? Wenn Mr Fairfax-Lacy am nächsten Morgen von ihrer Zofe gefunden würde, dann würde sie vor Scham sterben.
»Ich bin durchaus in der Lage, eine Empfängnis zu verhindern«, versicherte Stephen. Er bewegte leicht die Hand, und ihre Finger lagen zwischen den seinen.
Helenes Herz setzte einen Schlag aus. Sie wollte ein Kind – ganz verzweifelt wünschte sie sich ein Kind. Aber nicht auf diese Weise. »Danke, das ist sehr zuvorkommend«, sagte sie und hörte selbst, wie albern das klang. Ach, Herrgott, vielleicht sollten sie es einfach hinter sich bringen! Danach kam dann der wichtigere Teil, nämlich Rees’ Galle zum Überlaufen zu bringen. »Möchten Sie jetzt zu Bett gehen?«, fragte sie.
Er erhob sich, sah einen Augenblick lang auf sie herab, dann nickte er. »Es wäre mir ein Vergnügen, meine Liebe.«
Helene kroch in ihr Bett und zog die Decke bis ans Kinn hoch. »Ich schließe jetzt die Augen, damit Sie ungestört sind«, sagte sie. Bestimmt würde er ihre Rücksichtnahme zu schätzen wissen. Schließlich gab es keinen Grund, sich wie die wilden Tiere zu benehmen, bloß weil sie eine Affäre beginnen wollten.
Einen Augenblick später senkte sich das Bett ein wenig, als er unter die Decke schlüpfte. Helene machte die Augen auf und ganz schnell wieder zu. Er hatte sich über sie gebeugt, und er hatte kein Hemd an. »Sie haben vergessen, die Kerzen zu löschen«, mahnte sie mit erstickter Stimme.
»Ich werde es sogleich tun«, erwiderte er.
Stephen war so anders als Rees. Seine Stimme hatte stets einen beruhigenden, tröstlichen Klang, er war ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Hätte Rees die Kerzen gelöscht, wenn sie ihn darum gebeten hätte? Niemals. Und Rees’ Brust war vollständig mit schwarzen Haaren bedeckt, während Stephens ganz glatt war. Fast … feminin, obwohl Helene dieser Gedanke so unredlich vorkam, dass sie ihn ganz schnell verdrängte.
Stephen kehrte ins Bett zurück, und sie wandte sich ihm entschlossen zu. Zum Glück war das Gemach nun recht dunkel, nur noch schwach vom Schein des Kaminfeuers erhellt. Sie holte tief Luft. Was auch immer nun geschehen mochte, sie war bereit.
Nur, dass einige Augenblicke lang gar nichts geschah.
Um die Wahrheit zu sagen: Stephen war ratlos. Helene wollte mit ihm eine Affäre beginnen. Aber sie war nicht gerade entgegenkommend. Das liegt daran, weil sie eine echte englische Dame ist und kein Flittchen, sagte er sich. Er verdrängte das Bild von Beas weißen Brüsten, das sich ungebeten in seine Gedanken schob. Überhaupt zweifelte er an diesen Brüsten. Nachdem sie sich auf der Ziegenweide aus ihrem Spenzer gewunden hatte, hatten sie ein wenig schief gesessen.
Erschrocken stellte er fest, dass er ja in
Weitere Kostenlose Bücher