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Keine Macht den Doofen

Keine Macht den Doofen

Titel: Keine Macht den Doofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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hat«, sei »einer Regierung nichts mehr zuwider,
als Irrtümer einzusehen, Verlusten ein Ende zu machen, den Kurs zu ändern«. Den
Grund für diese Basis-Blödheit sah die Historikerin im Menschlich-Allzumenschlichen:
Die politische Vernunft unterliege allzu häufig »nichtrationalen menschlichen
Schwächen – Ehrgeiz, Ängstlichkeit, Status-Streben, Wahrung des Gesichts, Illusionen,
Selbsttäuschungen, Vorurteilen«. 86
    Nun ist es ein altbekanntes Phänomen der Sozialpsychologie, dass
Menschen, auch wenn es für sie selbst von großem Nachteil ist, auf Irrtümern
beharren und sich nach der Devise »Ich habe recht, auch wenn ich mich irre« das
Leben schwer machen. 87 Warum aber ist dieses Phänomen gerade in der Politik so sehr verbreitet?
Offensichtlich hängt dies mit den besonderen Spielregeln der Macht zusammen: Diejenigen, die Macht erobert haben, befürchten, diese Macht zu
verlieren, wenn ruchbar wird, dass ihnen Fehler unterlaufen. Schließlich
müssen sie damit rechnen, dass Vertreter konkurrierender Parteien bereits
darauf lauern, solche Fehler zu entlarven und sich selbst als diejenigen zu
präsentieren, die es schon immer besser gewusst haben.
    Diese Struktur politischer Dominanzmanöver ist der Grund dafür,
warum politische Diskussionen in der Regel so unbefriedigend sind: Denn im
Unterschied zu philosophischen Debatten haben sie nicht das Ziel, die
Diskutanten gemeinsam weiterzubringen , sondern die
Gegner an ihrer schwächsten Stelle zu treffen .
Während das überzeugende Argument in der philosophischen Debatte ein Geschenk ist, das den Beteiligten die Chance bietet,
Irrtümer zu überwinden, ist das Argument in der politischen Diskussion eine Waffe , die eingesetzt wird, um unliebsame Kritik an der
eigenen Person abzuwehren. Man kann sich daher darauf verlassen: Wenn sich
Vertreter der Partei A zu einer bestimmten Position bekennen, werden –
losgelöst von der Stichhaltigkeit der Argumente – unweigerlich Vertreter der
Partei B auftreten, die ebendiese Position als einen nie wiedergutzumachenden
Fehler attackieren.
    An diesem Spiel der Macht hat sich seit
den 1980er-Jahren, in denen Barbara Tuchman über die Torheit der Regierenden
schrieb, nichts geändert. In anderer Hinsicht jedoch
ist seither ein bemerkenswerter Wandel eingetreten – zumindest hier in
Mitteleuropa: Denn es gibt kaum noch Politiker, die
dogmatisch an ihrem Kurs festhalten würden – schon
allein deshalb, weil sie keinem klar erkennbaren Kurs mehr folgen. Das
Navigationssystem der meisten Politiker ist heute nicht mehr bestimmt durch
feste politische Grundsätze, sondern durch das Auf und Ab der Umfragewerte. Der Meinungsmarktbericht ist das Orakel, dem der moderne Politiker
folgt. Eigene Überzeugungen, für die ein Politiker notfalls gegen den
Strom seiner Zeit schwimmen müsste, kann man sich im politischen Tagesgeschäft
kaum noch leisten.
    Kurzum: Während Politiker früher den Fehler begingen, dogmatisch an ihren Fehlentscheidungen festzuhalten , neigen
heutige Politiker dazu, den gegenteiligen Fehler zu begehen: Sie ziehen es vor, keine Entscheidungen zu treffen, bevor man sie ihnen als
Fehler auslegen könnte . Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es zur Mode
geworden, politische Entscheidungen an Expertenkommissionen zu delegieren.
Deshalb auch verwenden Politiker in ihren öffentlichen Auftritten so gerne
Leerformeln, Phrasen, Worthülsen, die jegliche inhaltliche Substanz vermissen
lassen und somit den Vorteil haben, unwiderlegbar zu sein.
    Wie soll man nun den hier angedeuteten politischen Wandel vom
engstirnigen Dogmatismus der Vergangenheit zur flexiblen
Meinungsmarktorientierung der Gegenwart bewerten? Ist es nicht ein gutes
Zeichen, wenn Politiker so sehr auf ihre Wähler hören, dass sie notfalls, siehe
den schwarz-gelben Atomausstieg, ihre Ansichten komplett über den Haufen
werfen? Oder ist dies bloß Ausdruck von blinder Konzeptionslosigkeit und
blankem Opportunismus? Fakt ist jedenfalls, dass der Wandel in der Politik ein
paradoxes Ergebnis herbeiführte: Obwohl sich die Parteien heute
mehr denn je um die Zustimmung der Wähler bemühen, war die Zustimmung der
Wähler gegenüber den Parteien nie so gering wie heute.
    Wie ist das zu erklären? Könnte es sein, dass die Wähler zunehmend
über sich selbst erschrecken, da sie in der Halt- und
Orientierungslosigkeit der Politik ein Spiegelbild
ihrer eigenen Halt- und Orientierungslosigkeit erkennen ? Schimpfen wir
nur deshalb über die »doofen

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