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Keine Macht den Doofen

Keine Macht den Doofen

Titel: Keine Macht den Doofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schmidt-Salomon
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Staatenrettungsschirmen in die Bresche gesprungen, wären die
Finanzmärkte aufgrund ihrer realwirtschaftlichen Absurdität längst schon
kollabiert. Radikal-liberale und linke Ökonomen sind also gar nicht so weit
voneinander entfernt, wie man vermuten könnte. Der Unterschied zwischen ihnen
besteht darin, dass die einen die Irrationalität des Staates kritisieren, der den Markt sabotiert, und die anderen die Irrationalität
der Märkte , die den Staat ausbluten lassen. Faktisch jedoch sind beide
Irrationalismen systemisch miteinander verbunden: Ohne die
Irrationalität der Märkte würde sich der Staat nicht so irrational verhalten – und umgekehrt!
    Man könnte Hunderte von Seiten über das ökonomiotische Syndrom in
der Politik schreiben. Beispielsweise über den blinden Glauben der Politiker an
die realen Wirkungen fiktiver Kapitalmehrungen, der sie auf die absurde Idee
brachte, die Alterssicherung der Bürgerinnen und Bürger ausgerechnet
an den Kettenbriefhandel der internationalen Finanzmärkte zu koppeln
(Riester-Rente). Ein eindrucksvolles Beispiel für Ökonomiotie gäbe auch
das deutsche Steuersystem ab, das fast ausschließlich
mittlere Einkommen belastet und durch unzählige Verschlimmbesserungen in den
letzten Jahrzehnten so undurchsichtig geworden ist, dass selbst Finanzbeamte
längst den Überblick über den Steuergesetzwirrwarr verloren haben. 85 Ähnlich groteske Blüten
treibt das ausufernde Subventionswesen , das Produkte
und Unternehmen künstlich am Leben hält, die sinnvollerweise längst schon vom
Markt verschwunden wären. All dies zu beschreiben würde jedoch den Rahmen
dieser Streitschrift sprengen. Konzentrieren wir uns deshalb auf die Gründe,
die Politikerinnen und Politiker dazu veranlassen, in solch unschöner
Regelmäßigkeit ökonomiotische Entscheidungen zu treffen.
    Eine der Hauptursachen der politischen Ökonomiotie liegt in der
gestiegenen Bedeutung der Lobbyisten, denen es zu verdanken ist, dass das Geschäft der Politik zunehmend von der Politik der Geschäfte
bestimmt wird. Zwar ist eine Verzahnung von Wirtschaft und Politik
durchaus begrüßenswert, da alle Bürgerinnen und Bürger von einer florierenden
Wirtschaft profitieren sollten – ernsthafte Probleme ergeben sich jedoch, wenn
in der Politik Partikularinteressen einzelner Unternehmen
und Verbände höher gewichtet werden als die Interessen
der Allgemeinheit. Dazu kommt es nicht nur durch korrupte Politiker. (Es
wäre falsch, die politische Klasse hier unter einen Generalverdacht zu stellen.)
Meist gehen die Interessen der Allgemeinheit auf subtilere Weise unter, nämlich
infolge des ausufernden Systems der lobbyistischen
Expertokratie .
    Bekanntlich müssen Politiker angesichts der Komplexität der Themen,
mit denen sie konfrontiert sind, immer wieder »Experten« zurate ziehen. Diese
Experten fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern entstammen häufig Unternehmen
und Verbänden, die von einer zu treffenden politischen Entscheidung selbst
betroffen sind: Geht es beispielsweise um Kirchenfragen, kommt das grundlegende
Papier von Kirchenfunktionären, geht es um Energiefragen, sind Vertreter der
großen Energiekonzerne am Entwurf beteiligt, geht es um Finanzmärkte, werden
die Vorstände der großen Banken gehört. Muss man sich da noch wundern, dass die
Politik Partikularinteressen eher berücksichtigt als die Interessen der
Allgemeinheit?
    Was man den demokratiegefährdenden Wirkungen der lobbyistischen
Expertokratie entgegensetzen müsste, ist längst bekannt: Erstens eine größere Transparenz der Politik sowie zweitens eine stärkere Beteiligung von
Bürgerinnen und Bürgern in politischen Entscheidungsprozessen. Es ist
keineswegs erstaunlich, dass die Piratenpartei unlängst gerade mit diesen Inhalten bei der Wählerschaft punkten konnte.
Sollten die arrivierten Parteien hierauf nicht bald angemessen reagieren, wäre
dies nur ein weiterer Beleg für die immer wieder beklagte »Torheit der
Regierenden«.

Das dumme Spiel der Macht
    Wenn man, wie schon im Titel dieses Kapitels, von einer
»Torheit der Regierenden« spricht, so sollte man natürlich berücksichtigen, zu
welcher Diagnose die Historikerin Barbara Tuchman in ihrem gleichnamigen Buch
gelangte. Bei ihrer Untersuchung der politischen Torheit von Troja bis Vietnam
kam sie zu dem Ergebnis, dass die Wurzel des Übels im »Bestehen auf dem Irrtum«
liege: Obgleich es vernunftswidrig sei, »das Nachteilige zu verfolgen, nachdem
es sich als nachteilig erwiesen

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