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Keine Pizza für Commissario Luciani

Titel: Keine Pizza für Commissario Luciani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Paglieri
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keine Rolle spielt.«
    Sie redeten noch ein paar Minuten, dann begleitete Mennella den Kommissar an die Tür und reichte ihm die Hand: »Ich bitte
     Sie, ich verlasse mich auf Ihre Diskretion. Meine Scherben sind absolut natürlich, durch Wasser, Sand und Kieselsteine geschliffen.
     Meine Kunden haben aber keine Ahnung von der Existenz dieser Maschine, und ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen würden, wenn
     …«
    »Wenn sie entdecken würden, dass ihre Schmuckstücke weniger wert sind als gedacht. Ich schweige wie ein Grab, Sie können beruhigt
     sein.«
     
    Er verließ das Haus am Meer, schlug aber nicht gleich den Weg zum Auto ein, sondern ging an den Strand. Es war einer der schönsten
     in ganz Ligurien, und außerhalb der Saison war er noch schöner. Marco Luciani ging über die vom Meer geschliffenen Kieselsteine,
     erreichte die Wasserlinie, blieb stehen und dachte nach, während er den Sarazenenturm auf der Höhe des Felsvorsprungs betrachtete.
     Ihm fiel ein, was er im Buch eines Genuesers über die Funktion von Türmen gelesen hatte. Danach dienten Türme nicht nur dazu,
     einem Wachtposten einen möglichst weiten Ausblick zu eröffnen, so wie aus dem Ausguck am Schiffsmast, sondern ihre Hauptfunktion
     bestand darin, aus der Ferne gesehen zu werden, besonders vom Meer aus. An einer gleichförmigen Küste erkannten die Seeleute
     auf der Rückfahrt die richtige Bucht zuerst an den Türmen. Dies war es, was zählte. Für jemanden, der von einer fünfzig Meter
     hohen Klippe aus das Meer nach Sarazenenschiffen absuchte, hingegen machte es kaum einen Unterschied, wenn er noch auf einen
     zehn Meter hohen Turm kletterte.
    |185| Dasselbe galt für die Türme in Städten: Ihr Zweck war es, aus der Ferne gesehen zu werden, von Pilgern, die womöglich über
     weite, unbekannte Wege wandern mussten, sogar querfeldein, ehe die Römer ihre Straßen bauten. Sie brauchten Orientierungspunkte,
     um nicht von der Route abzukommen. So gab es zum Beispiel auch einen »Weg der Türme«, für den Almabtrieb von den Alpen Richtung
     Mittelitalien, durch Städte, deren Namen auf »ona« endeten: Antrona, Cremona, Ancona, Cortona, Poplona.
    Die Theorie schien unanfechtbar und hatte ihm sofort eingeleuchtet. Und doch war ihm das vorher nie in den Sinn gekommen.
     Es ist unwichtig, ob eine Erklärung falsch ist oder der Wahrheit sogar diametral entgegengesetzt. Wenn man sie nur oft und
     überzeugend genug wiederholt, dann wird sie zum Credo. Die Menschen werden sich mit ihr zufriedengeben und weiterhin denken,
     dass Türme allein dazu dienen, das Panorama zu studieren.
    Nur wenige hatten die Gabe, eine Perspektive auf den Kopf zu stellen. Aber Marco Luciani war insgeheim überzeugt, dass er
     diese Gabe besaß. Er dachte an Marietto zurück, an dessen Verfolgungswahn, an seine Ängste und den Entschluss, allem ein Ende
     zu setzen.
    Und wenn alles ganz anders war? Wenn das Gesamtbild, das Luciani sah, in Wahrheit nur eine Kruste war? Wenn er, sobald er
     diese Kruste abschlagen würde, darunter ein viel schöneres Bild finden würde? Er fing an zu grübeln und sich einen Pinselstrich
     nach dem anderen wegzudenken. Marietto war nicht der Typ, der Angst hatte. Vor nichts und niemandem. Er hatte im Leben alles
     Mögliche durchgestanden, vom Krieg bis zu Seestürmen. Dass er noch dazu gekommen war, als Partisan zu kämpfen, glaubte Luciani
     nicht, das passte vom Alter her nicht. Aber wenn er wirklich Anarchist, wenn er im Gefängnis gewesen war, dann musste er schlimme
     Momente erlebt haben.
    |186| Es begann das Spiel mit den Hypothesen, Lucianis Lieblingsspiel, mit dem man seiner Meinung nach mehr Fälle löste als mit
     DNA-Tests. Vielleicht hatte Marietto tatsächlich einen Geist aus der Vergangenheit gesehen. Aber vielleicht hatte dieser Jemand
     ihn nicht gesehen. Erblicken sich die Wachtposten auf dem Turm und im Mastkorb gleichzeitig, oder sieht einer den anderen
     zuerst? Vielleicht hatte Marietto einen alten Freund wiedererkannt, oder einen alten Feind. Und war gar nicht abgehauen, sondern
     auf die Jagd gegangen. Und die Pistole brauchte er nicht, um sich umzubringen, sondern jemand anderen. Deshalb hatte er also
     Angst gehabt, ins Gefängnis zu wandern: nicht wegen einer Sache, die er getan hatte, sondern wegen einer, die er zu tun gedachte.
     »Dass meine Stunde endlich gekommen ist«, hatte er geschrieben. Vielleicht hatte er nicht die Stunde des Todes, sondern die
     der Rache gemeint.
    Der Kommissar merkte,

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